AOK-Report AOK-Report: Bis zu 100.000 Euro - Medikamente in Deutschland teurer als je zuvor
Berlin - Trotz mehrerer Spargesetze steigen die Arzneimittelkosten in Deutschland weiter rasant an. Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für Medikamente kletterten 2015 auf ein neues Rekordniveau von fast 37 Milliarden Euro. Damit erhöhten sich die Kosten in nur zwei Jahren um knapp fünf Milliarden Euro. Das geht aus dem renommierten Arzneimittel-Verordnungsreport hervor, dessen Neuauflage für 2016 am Montag in Berlin vorgelegt wurde. Hauptverursacher dieser Entwicklung sind nach wie vor neue, patentgeschützte Arzneimittel, obwohl gerade hier Preisbremsen eingeführt wurden. Sie wirken aber nicht wie erhofft - auch weil die Politik die Gesetze in einigen Punkten entschärft hat. Die Autoren des Reports warnten vor der Absicht der großen Koalition, die Spargesetze noch weiter zu verwässern.
Manche Präparate kosten an die 100.000 Euro
Wie massiv die Pharmafirmen in den letzten Jahren zulangen, zeigt sich laut Report an den durchschnittlichen Packungspreisen neuer Arzneimittel. Derzeit kostet ein patentgeschütztes Medikament in der Apotheke im Mittel 2291 Euro. Die 126 Medikamente, die in den vergangenen drei Jahren neu auf den Markt kamen, werden im Schnitt für 4230 Euro verkauft. Die zehn teuersten Arzneimittel bei den Markteinführungen sind in der Apotheke teurer als 16.000 Euro pro Packung. Einige Präparate kosten sogar fast 100.000 Euro. Gerade bei Krebsmedikamenten oder Präparaten gegen die Muliple Sklerose ließen sich offenbar nahezu beliebig hohe Preise durchsetzen, kritisierte Jürgen Klauber, Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK.
Medikamente teurer als in anderen europäischen Ländern
Der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, der Berliner Onkologe Wolf-Dieter Ludwig, beklagte, angesichts des mitunter nur marginalen Nutzens neuer Krebsmedikamente sei die „exorbitante“ Kostenentwicklung in diesem Bereich nicht hinnehmbar. Notwendig sei, neue Medikamente viel intensiver als bisher einer Kosten-Nutzen-Bewertung zu unterziehen.
Die in Deutschland verlangten Preise für Patent-Medikamente sind nach wie vor auch deutlich höher als in anderen europäischen Ländern. Darauf verwies der Herausgeber des Reports, Ulrich Schwabe. Nach einer neuen Untersuchung der TU Berlin müssen die Kassen für ein Medikament hierzulande zwischen neun und 31 Prozent mehr zahlen als beispielsweise in Finnland, Schweden oder Großbritannien. Daraus errechneten die Autoren des Reports ein Einsparpotenzial von 1,4 Milliarden Euro für die gesetzlichen Krankenkassen.
Industrie will Preisabsprachen geheimhalten
Auf scharfe Kritik stieß bei den Arzneimittelexperten die Absicht der großen Koalition, die zwischen den Pharmafirmen und den Krankenkassen verhandelten Preise für neue Medikamente künftig geheim zu halten. Das entspricht einem Wunsche der Industrie. Sie argumentiert, nur so ließen sich in anderen Ländern höhere Preise durchsetzen, Schwabe sagte, er habe noch nie erlebt, dass die Wirtschaft so einen direkten Einfluss auf die Gesetzgebung genommen habe. Er sprach von einer „Veralberung der Öffentlichkeit“. Der Plan der Koalition sei in höchstem Maße antieuropäisch, schließlich stiegen damit automatisch die Arzneimittelpreise in anderen europäischen Ländern.
Der Chef des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, meinte, der Plan sei praktisch gar nicht umsetzbar. Die tatsächlich gezahlten Preise müssten bekannt seien, damit die Handelsspannen, die Umsatzsteuer und die Zuzahlung der Patienten richtig berechnet werden könnten. Auch die Patienten hätten ein Anrecht darauf zu wissen, wie viel ihre Kassen für Arzneimittel bezahle.