Amazon "Fresh" Amazon "Fresh": Kann das Geschäft mit dem Online-Supermarkt funktionieren?

Berlin - Lange wurde er erwartet, jetzt ist er da – der Lebensmittellieferservice Amazon Fresh. Die ersten Schritte in Teilen von Berlin und Potsdam sind zwar zaghaft. Wir erläutern, warum das Geschäft mit Gemüse, Fleisch und Klopapier in den nächsten Jahren gleichwohl umgekrempelt wird.
Wie funktioniert Amazon Fresh?
Der US-Konzern startet den Service auf ganz kleiner Flamme. Er steht zunächst nur für Kunden des Abo-Dienstes Prime zur Verfügung. Die müssen nach einem kostenlosen Monat 9,99 Euro pro Monat für den Dienst zahlen.
Dafür gibt es unbeschränkt viele kostenlose Lieferungen ab einem Warenwert von 40 Euro. Amazon ist damit etwas billiger als die Konkurrenz. Zudem will der US-Konzern mit guten Service punkten: Bestellungen bis 12 Uhr werden noch am selben Tag geliefert. Orders bis 23 Uhr abends werden am nächsten Tag in einem ausgewählten Zwei-Stunden-Zeitraum gebracht.
85 000 Produkte sollen im Angebot sein. Dazu gehören auch Lebensmittel von 25 Berliner Unternehmen.
Kann sich Amazon einen Einstieg in großem Stil nicht leisten?
Doch, Amazon könnte das ohne Probleme. Das Unternehmen wäre sogar in der Lage, so einen Dienst über einen langen Zeitraum mit hohen Verlusten zu betreiben. Doch den Amazon-Managern geht es primär darum, Erfahrungen zu sammeln und die Kundschaft nicht von vorn herein zu verprellen. Der Konzern hat schließlich langfristige Ziele.
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Wo liegen die Probleme?
Amazon verfügt zwar über die vielleicht beste Logistik weltweit im Einzelhandel. Doch an einem Problem haben die Manager noch immer zu knabbern: die sogenannte letzte Meile, also die letzten gut zwei Kilometer auf dem Lieferweg.
Hier geht es um ein hohes Maß an Schnelligkeit und Verlässlichkeit – doch noch immer werden auch beim Ausliefern von Büchern oder Textilien sehr häufig die Kunden nicht angetroffen. Eine optimierte Zustellung ist im Online-Lebensmittelhandel noch erheblich wichtiger, da die Qualität etwa von Obst und Gemüse sehr schnell nachlässt. Genau damit hat das Unternehmen auch in den USA große Probleme, wo der Fresh-Dienst bereits in 20 Städten betrieben wird.
Amazon verspricht denn auch schon jetzt seinen deutschen Kunden, den Kaufpreis zu erstatten, wenn die frische Ware nicht den Erwartungen entspreche. Die Auslieferungen für den Fresh-Dienst übernimmt hierzulande übrigens die Post-Tochter DHL, die schon einen eigenen Lebensmittel-Dienst betreibt.
Will das Unternehmen sein Angebot erweitern?
Vor einer Ausweitung in andere Städte solle das Angebot durch Feedback der Nutzer verbessert werden, sagt Florian Baumgartner, Deutschlandchef von Amazon Fresh.
Das ist die typische Vorgehensweise des Konzerns. Amazon will erst einmal Informationen sammeln, um Muster im Verhalten der Kunden zu erkennen. Das soll helfen, das Angebot effizienter zu machen. Branchenkenner gehen aber davon aus, dass Amazon sich langfristig zumindest in den großen Metropolen etablieren will.
Welche Rolle spielt der Online-Lebensmittelhandel überhaupt?
Nach Berechnungen der Unternehmensberatung EY ist der Anteil verschwindend gering. Der Online-Anteil im Lebensmittelhandel liege derzeit bei einem Prozent und damit bei einer Milliarde Euro im Jahr. Doch die gesamte Branche ist in Aufregung und erwartet, dass sich dies schnell ändern könnte. Allerdings hat es Amazon hierzulande mit einer Off-Line-Konkurrenz wie in kaum einem anderen Land zu tun.
Der Wettbewerb ist extrem hart, das Preisniveau ist so niedrig wie kaum irgendwo anders. Edeka und Rewe, Aldi und Lidl arbeiten permanent an der Optimierung ihrer Logistik und der Sortimente in den Läden. Außerdem haben sie für das Online-Geschäft entweder Pläne in den Schubladen liegen oder sind dort bereits aktiv. Rewe etwa hat sich vorgenommen, 2020 einen Online-Umsatz von etwa 800 Millionen Euro zu machen. Der scheidende Chef Alain Caparros hat die Devise ausgegeben: „Wenn wird nicht investieren, werden wir irgendwann von Amazon abgehängt.“
Kann Amazon Etablierten wie Rewe oder Edeka wirklich gefährlich werden?
Caparros und seine hiesigen Kollegen fürchten zweierlei. Erstens: Amazon scheut sich nicht, sehr viel Geld in neue Geschäfte zu investieren, auch wenn damit über einen längeren Zeitraum Verluste eingefahren werden, zumal der Konzern über erhebliche finanzielle Mittel verfügt.
Zweitens: Amazon ist nicht nur ein Online-Händler, sondern eines der weltweit führenden IT-Unternehmen mit einem enormen Vorsprung beim Sammeln und Analysieren von Kundendaten. Aus der Kombination von beidem könnten neue Konzepte entwickelt werden, bei denen etablierte Händler womöglich nicht mehr mithalten können – zumal unter Managern kein Zweifel besteht, dass auch im Handel die Digitalisierung massive Veränderungen bringen wird.
Wie werden diese Veränderungen aussehen?
Die EY-Experten gehen davon aus, dass früher oder später digitale Assistenten eine wichtige Rolle beim Online-Lebensmitteleinkauf übernehmen. Diese Assistenten werden die Gewohnheiten ihrer Nutzer kennen und sie können aus allen möglichen Informationen aus deren „Lebensumfeld“ Schlussfolgerungen ziehen.
Ist etwa im Kalender ein Besuch von Freunden eingetragen, kann der Assistent vorschlagen, ein paar Flaschen Wein zu bestellen, die die Freunde mögen. Amazon hat mit Alexa einen solchen Assistenten bereits entwickelt. Er gehört zur Software des interaktiven Lautsprechers Echo, der Gespräche in der Wohnung mithört. Gerade wurden auch Alexa-Apps für Smartphones präsentiert - Datenschützer halten all dies für extrem fragwürdig und warnen vor Alexa.
Welche Folgen haben digitale Assitenten für den Lebensmittelhandel?
Der EY-Einzelhandelsexperte Thomas Harms geht davon aus, dass sich das Einkaufsverhalten der Deutschen „fundamental verändern“ wird. In den nächsten 15 Jahren würden die Karten im Einzelhandel neu gemischt. In der Branche geht das Gespenst um, dass E-Commerce bis zu einem Drittel aller stationären Läden vernichten könnte. Das würde auch bedeuten, dass tausende von Supermärkten dicht gemacht werden.