Aldi-Kündigung Aldi-Kündigung: Untergang des "Berliner"-Bäckers

Köln/Daun - Rolf Weidmann versteht die Welt nicht mehr. Es ist Karnevalssaison und damit die hohe Zeit des „Berliner“-Gebäcks. Doch Weidmann, der Insolvenzverwalter der Stauffenberg-Bäckerei in Gelsenkirchen und Daun (Eifel), findet keinen Käufer für einen der größten Bäcker von Berlinern in Deutschland, der bis vor kurzem noch „Hoflieferant“ von Aldi, Lidl und Netto war.
Bis zu einer halben Million des beliebten, faustgroßen Siedegebäcks – meist mit Marmeladenfüllung – hat Stauffenberg in Spitzenzeiten täglich gebacken, doch seit Anfang der Woche ist es damit vorbei. Im Werk Gelsenkirchen werden noch Restaufträge bis zum Frühjahr abgewickelt, dann dürften die Öfen in dem 111 Jahre alten Unternehmen, das 226 Mitarbeiter beschäftigt, endgültig ausgehen. Es ist keine spektakuläre Firmenpleite, aber ein kleiner Wirtschaftskrimi mit „Zutaten“ wie steigendem Konkurrenzdruck, mit gravierenden Hygienemängeln sowie persönlichem Versagen der Besitzer bis hin zum Betrug.
Nicht nur Berliner hat Stauffenberg massenhaft hergestellt, sondern auch tonnenweise Brot, Brötchen und Gebäck – ein grundsolides Geschäft mit sicherem Absatz, könnte man denken. Doch vor zwei Monaten, mitten im Weihnachtsgeschäft kam der größte anzunehmende Tiefschlag: Aldi Süd und Aldi Nord, die größten Kunden, kündigten ihre Geschäftsbeziehungen zu Stauffenberg fristlos auf.
Was war geschehen? War nicht Aldi traditionell mit Stauffenberg eng verbunden, hatte nicht der Vater des Aldi-Gründers, Karl Albrecht Senior, bei Stauffenberg einst sogar das Bäckerhandwerk gelernt? In der Tat hatte sich schwerwiegendes ereignet. Frank Ostendorf, Ex-Besitzer und Geschäftsführer von Stauffenberg sowie zwei weitere Manager werden im vergangenen November zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Das Trio hat nach eigenem Geständnis eine Factoring-Gesellschaft um sechs Millionen Euro betrogen, nachdem Stauffenberg in eine Krise geraten war. Bei längeren Laufzeiten zur Bezahlung der Rechnungen durch die Kunden finanziert ein Factoring-Unternehmen den Rechnungsbetrag gegen eine Gebühr vor. Die großen Discounter lassen sich nämlich in aller Regel bis zu zwei Monaten Zeit bevor sie die gelieferte Ware bezahlen. Solange kann ein mittelständisches Unternehmen wie Stauffenberg nicht warten, weil es die Gebäck-Zutaten vorfinanzieren muss. Deshalb schaltet es ein Factoring-Unternehmen vor.
Ostendorf und seine Kompagnons haben nach dem Urteil des Landgerichts Essen der Factoring-Firma Scheinrechnungen vorgelegt und so Millionen zu Unrecht kassiert. Früher oder später musste der Betrug auffliegen. Das war auch Ostendorf bewusst, der sich letztlich selbst anzeigte.
Die Angeklagten machten vor Gericht geltend, dass sie sich nicht selbst bereichern wollten, sondern die Großbäckerei und ihre Arbeitsplätzen retten wollten. Doch Richter Edgar Loch zeigte insgesamt wenig Verständnis für eine solche Art von Rettungsaktion. „Mit kalten Kalkül haben sie eine Entscheidung getroffen, die in einer Katastrophe enden musste“, so Loch.
Als Aldi vom Prozess gegen Ostendorf Wind bekommt, wurden alle Aufträge gekündigt – die wirkliche Katastrophe für Stauffenberg. Dass das Unternehmen überhaupt in die Krise geraten konnte, war auch eine Folge des Zusammenbruchs der Großbäckerei „Müller-Brot“ in Neufahrn bei München. Pikant: Deren Besitzer hieß Klaus Ostendorf, Vater von Stauffenbergs Frank Ostendorf.
Höchst unappetitliche Untersuchungen über Mäusekot und diverse Insekten in der Produktion bei Müller-Brot führten ebenfalls zur Kündigung von Aldi-Aufträgen. In den Strudel geriet indirekt auch Stauffenberg, weil nach dem Hygiene-Skandal allgemein weniger Backwaren geordert wurden.
Insolvenzverwalter Rolf Weidmann nun findet keinen neuen Erwerber für Stauffenberg, weil alle Kunden ihre Aufträge mitten in der „Berliner“-Saison storniert haben. Doch niemand muss sich Sorgen machen, dass es an Karneval zu wenig „Berliner“ gibt. Aldi und Co. haben bereits Ersatz gefunden.