1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Wirtschaft
  6. >
  7. Kommentar zum Abgasskandal: Abgasskandal: Eine kluge Industriepolitik ist nötig

Kommentar zum Abgasskandal Abgasskandal: Eine kluge Industriepolitik ist nötig

Von Frank-Thomas Wenzel 24.07.2017, 12:34
Die deutschen Autobauer haben bei den Abgaswerten getrickst – möglich machten das wohl auch gemeinsame Absprachen.
Die deutschen Autobauer haben bei den Abgaswerten getrickst – möglich machten das wohl auch gemeinsame Absprachen. imago stock&people

Berlin - Von wegen Wettbewerb. Für alle Varianten liberaler und neo-liberaler Wirtschaftspolitik gilt als oberster Glaubenssatz: Nur Wettbewerb schafft Wohlstand. Die deutsche Autobranche widerlegt diese These eindrucksvoll. Sie ist durch ein gigantisches Kartell immer stärker geworden. Und zwar durch ein Kartell, in dem auch die Politik und die Gewerkschaften ein zentrale Rolle spielen - das war auch schon vor den aktuellen Enthüllungen über die Absprachen von Managern des 5er-Clubs (VW, Audi, Porsche, Daimler, BMW) klar.

Der Volkswagen-Konzern hat es so zum weltgrößten Autobauer gebracht. Die „Premiummarken“ Mercedes, BMW, Audi und Porsche haben im Luxussegment mit einem Marktanteil von mehr als 80 Prozent eine globale Hegemonie errungen. Ende dieser Woche wird der Volkswagen-Konzern wieder herausragende Zahlen präsentieren. Aber auch Daimler und BMW verkaufen so viele Autos wie nie zuvor. Die Erfolge der Autobauer haben großen Wohlstand für Deutschland gebracht, keine Frage. 

Nicht umsonst hat der VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh noch vor nicht allzu langer Zeit den damaligen Konzernchef Martin Winterkorn über alle Maßen gelobt und gepriesen, denn er habe während seiner Amtszeit mehr als 30.000 Arbeitsplätze hierzulande geschaffen. Was unbestreitbar ist. Martin Winterkorn ist aber auch derjenige, der mit großer Wahrscheinlichkeit den systematischen Betrug bei den Abgaswerten bei rund elf Millionen Dieselautos billigend in Kauf genommen hat.

Das Kartell macht's möglich

Wie konnte das passieren? Das Kartell macht’s möglich. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die deutschen Autobauer ausnahmslos bei den Abgaswerten tricksen. Sie konnten sich lange Zeit sicher sein, dass ihre Machenschaften nicht auffliegen. Sie haben sich erstens untereinander abgesprochen, damit bei technischen Fragen keiner aus der Reihe tanzt. Wir wissen bislang nicht, wie weit die Koordination ging. Bekannt ist bislang nur, dass sich die Fünf darauf verständigt haben, aus Kostengründen die Tanks für das Reduktionsmittel Adblue zu klein zu dimensionieren, was zur Folge hat, dass die Abgasreinigung ständig abgeschaltet werden muss.

Zweitens können sich die Konzerne der Unterstützung der Politik sicher sein. Wenn es darum ging, in Brüssel ambitionierte Abgaswerte vorzuschreiben, grätschte die Bundesregierung mit sonst kaum erkennbarer Entschiedenheit dazwischen, um die Vorgaben so aufzuweichen, dass auch die Hersteller von spritfressenden Luxuslimousinen damit gut leben können. Im Abgasskandal hat sich Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) als ein verlässlicher Partner im Kleinreden und Verharmlosen erwiesen und darin, alle Maßnahmen zum Aufarbeiten der Betrügereien auf minimal invasivem Niveau zu halten.

Als weiterer wichtiger Akteur kommt die IG Metall hinzu. Schon nach den ersten Enthüllungen im Abgasskandal haben Funktionäre vor Jobverlusten gewarnt. Jörg Hofmann, der Vorsitzende der mächtigen Gewerkschaft, warnt immer weiter vor einer Abkehr vom Diesel, da „etliche tausend Arbeitsplätze“ auf der Kippe stünden.

Lebenslüge vom sauberen Diesel

Die dunkle Seite des Mega-Kartells wird hier erkennbar. Es hat die Lebenslüge der deutschen Autobauer vom sauberen Diesel möglich gemacht. Eben weil der 5er-Club sich Unterstützung der Politik und der Gewerkschaften sicher war, konnte er die Diesel-Technologie in konzertierter Aktion nach vorne bringen, obwohl seine Schwächen schon lange erkennbar waren. Inzwischen zeigt sich überdeutlich: Für wirklich saubere Diesel ist die Abgasreinigung so aufwendig, dass sie Klein- und Kompaktwagen viel zu teuer, beinahe unverkäuflich macht.

Die Hybridtechnologie (Benzin- nebst Elektromotor) ist heute schon besser und billiger – auch in puncto Umwelt- und Klimaschutz. Die Elektromobilität wird spätestens 2025 an diesem Punkt sein. Die deutschen Autobauer stehen vor einem Scherbenhaufen. Das ist zugleich der Super-GAU für Industriepolitik der aktuellen Bundesregierung und ihre Vorgänger.

Damit wird auch ein Grundfehler sogenannter liberaler Wirtschaftspolitik sichtbar. Wenn deren Propheten Wettbewerb predigen, meinen sie meistens nichts weiter als krude Deregulierung, also die größtmögliche Abwesenheit staatlicher Vorgaben. Das Gegenteil hilft weiter. Wir brauchen eine kluge Industriepolitik, das bedeutet zuallererst die Zerschlagung des Mega-Kartells. Die Kumpanei der Politik mit den Autobauern darf es nicht mehr geben. Die Kartellbehörden müssen den Konzernen genauer auf die Finger gucken. Und die Auto-Bosse müssen mit strikteren Vorgaben und einer viel härteren Regulierung in puncto Abgase gefordert werden.

Nur damit können sie ein radikales strategisches Umschwenken - weg vom Diesel und hin zur Elektromobilität - gegenüber Aufsichtsräten und Aktionären begründen. Denn dies wird Verwerfungen bringen, inklusive schrumpfender Renditen und Arbeitsplatzverlusten. Doch Unternehmen, die diesen Radikalumbau unter erschwerten Bedingungen nicht angehen, verspielen ihre Zukunft.