Tränen und Trauer in Löbau Tränen und Trauer in Löbau: Eine Stadt ringt nach Busunglück auf A9 um Fassung

Löbau - „Moment, bitte!“ Der Rentner in kurzen Hosen und kariertem Hemd kämpft mit den Tränen. Noch immer fassungslos steht er vor dem Reisebüro Reimann im sächsischen Löbau. Dem Familienbetrieb gehört der am Montag auf der A9 in Oberfranken (Bayern) verunglückte Reisebus. Unter den 18 Toten, die aus dem ausgebrannten Wrack geborgen wurden, ist auch ein Reimann-Fahrer. „Ich kenne das Unternehmen und die Mitarbeiter seit über 25 Jahren“, sagt Heinrich Quast. Erschüttert gibt der 69-Jährige wortlos eine weiße Rose ab. „Es ist schrecklich, das geht mir so ans Herz!“, sagt er danach.
Auch hinter den mit Tourangeboten bestückten Schaufenstern in der schmucken Fußgängerzone der Kleinstadt herrscht tiefe Betroffenheit. Eine Mitarbeiterin spricht leise ins Telefon, sie musste am Morgen ein Dutzend Grablichter von der Eingangstreppe wegräumen, um an ihren Arbeitsplatz zu kommen. Der Chef will sich am Tag danach nicht mehr äußern. Die Versicherung hat ihm einen Medienprofi an die Seite gestellt. „Es ist ein schwerer Schlag“, sagt Patrick von Krienke.
Betroffene erfahren vom Tod ihrer Angehörigen erst an der Haustür
Nach seinen Angaben waren beiden Fahrer des Unglücksbusses mehr als zehn Jahre für das Unternehmen unterwegs. Der 55-Jährige, der zum Zeitpunkt des Unfalls am Steuer saß und ums Leben kam, hinterlässt eine Lebensgefährtin und eine gerade erwachsene Tochter. „Sie sind vollkommen aufgelöst“, berichtet Krienke nach dem Kondolenzbesuch mit seinem Chef.
Auch die Frau arbeitet für die Firma, die ihre Hilfe angeboten hat, obwohl die Identifizierung bisher fehlt. „Noch gibt es keine traurige Gewissheit, der DNA-Abgleich steht noch aus.“
Vom Tod ihrer Angehörigen erfahren die Betroffenen meist erst an der Haustür, wenn Polizist und Notfallseelsorger klingeln. Der Besuch komme unangekündigt, sagt Christian Mendt, Polizeiseelsorger in Dresden. „Wenn man vorher anruft, setzt man ja Bilder und Fantasien sofort in Gang.“ Dabei wisse man nicht, wie der Betroffene reagiert. „Es kann ja bis hin zu suizidalen Verhaltenweisen kommen.“ Deshalb sei sofort jemand da, der den Schock, den die Nachricht auslöst, mit durchstehe, sagt der Pfarrer, der den Einsatz der Seelsorger bei den Angehörigen der Bus-Toten koordiniert hat.
Ermittler konzentrieren sich auf Fahrer als möglichen Unfall-Verursacher
Die Businsassen, die das Unglück überlebten, benötigten ebenfalls Hilfe, sagt Sozialministerin Barbara Klepsch (CDU), die noch am Montag Verletzte in Kliniken besuchte. „Sie sollen wissen, dass wir das Mitgefühl und die Trauer gemeinsam tragen.“
Nach Erkenntnissen der Ermittler war der Reisebus mit 48 Menschen an Bord bei sich stauendem Verkehr auf einen Sattelzug aufgefahren und sofort in Brand geraten. Sie konzentrieren sich bei der Ursachensuche auf den Fahrer als möglichen Verursacher - neben einem technischen Fehler. Für seine Kollegen aber ist das unvorstellbar. „Er war ein versierter, überaus vorsichtiger und bedachter Fahrer, fuhr lieber langsamer als zu schnell und nie mit Tempomat“, erklärt Krienke. Sein Kollege, der verletzt überlebte, hatte den Chef sofort von dem Inferno informiert - vom Handy eines anderen Autofahrers aus.
Größe Anteilnahme in Löbau nach Busunglück auf A9
„Es gibt auch Schilderungen von Augenzeugen, dass der Lkw überholt hätte und kurz vor dem Bus wieder eingeschert ist“, erzählt Krienke. Das Familienunternehmen hatte für die Tour eines anderen sächsischen Reisebüros zum Gardasee einen ihrer weißen Busse mit blau-gelb-rotem Streifen zur Verfügung gestellt. „Wir fahren oft auch als Dienstleister.“ Auf dem Firmengelände am nordöstlichen Stadtrand stehen sechs der Fahrzeuge, vor der Hofeinfahrt zum Privatgrundstück weht rot-weißes Flatterband.
Seit Bekanntwerden der Katastrophe kommen Menschen und bekunden ihre Anteilnahme, persönlich, am Telefon oder per Mail. „Wir suchen momentan nach Normalität, Halt und Haltung“, sagt von Krienke. Es gebe kein „Weiter so!“, auch nicht für die Reimanns. Sie suchten nach einem Weg, den Fahrbetrieb aufrecht zu erhalten. Auch die 15.600 Einwohner zählende Stadt in der vom Strukturwandel und Abwanderung geplagten Region hat jegliche Unterstützung angeboten.
„Wir sind unheimlich betroffen“, sagt der Stellvertreter des Bürgermeisters, Guido Storch. Viele Bürger bekundeten ihr Mitgefühl und wünschten Kraft. Auch im Rathaus bucht man gern bei Reimann, etwa für Fahrten zum Schwimmunterricht oder den Betriebsausflug. „Es ist unvorstellbar, dass sie Schuld tragen an dem, was passiert ist.“ Als Reimann sein Geschäft verlässt, klopft ihm ein Bekannter tröstend auf die Schulter. „Ach, eine Busreise wär„ doch ganz schön“, sagt derweil eine Mittfünfzigerin vor dem Schaufenster. Ihre Tochter ist da eher skeptisch: „Nee, Du siehst doch, wie das ausgeht.“ (dpa)