Strukturvertrieb Strukturvertrieb: Ein Insider erzählt über die Branche
FRANKFURT (MAIN)/MZ. - Die Mitteldeutsche Zeitung hat einen Insider befragt, der selbst in sogenannten Strukturvertrieben - hier verdienen Vorgesetzte an den Provisionen ihrer Mitarbeiter mit - gearbeitet hat. Er möchte anonym bleiben, um seinen Job nicht zu verlieren. Nennen wir ihn Peter Müller.
Herr Müller betont aber, dass sogenannte Incentive-Veranstaltungen (englisch für Anreiz) üblich seien, um die Mitarbeiter zu belohnen. "Incentives gibt es in jedem Vertrieb. Ob bei Versicherungen selbst, bei eigenständigen Vertrieben oder bei Maklerpools."
Üblich sei der "starke Konsum von Alkohol". Auch vom Konsum harter Drogen habe er häufiger gehört. In vielen Branchen wären die Mitarbeiter empört, schlüge ihr Chef einen Puffbesuch als Belohnung vor. Dass das in einem Strukturvertrieb anders ist, verwundert Müller nicht. "Man muss klar sehen, woher die Mitarbeiter kommen. Das sind zu 90 Prozent keine ausgebildeten Versicherungskaufleute."
Die Verrohung der Sitten liegt nach Ansicht des Brancheninsiders am Verlauf, den eine Strukturvertriebs-Karriere nimmt. "Man beginnt bei den Verwandten und Bekannten und schließt da ein paar Verträge ab. Dann erkennt man die Verdienstmöglichkeiten dieses Systems und begibt sich in die Abhängigkeit. Man kündigt seinen Job und versucht nun Vollzeit, Versicherungen zu verkaufen." Nach Anfangserfolgen, so Müller, verschuldeten sich die meisten stark, "da keine neuen Kunden mehr gewonnen und dann die ersten Verträge storniert werden". Reumütig kehrten die meisten in ihren alten Job zurück. "Die anderen jedoch merken, dass man das System nutzen kann, jedoch nur, wenn man völlig gewissenlos vorgeht und so viel wie möglich neue Mitarbeiter anwirbt. Die zehn Prozent Anfänger, die diesen Sprung schaffen, werden auch erfolgreich." Bis dahin sei man aber derart abgestumpft und verroht, dass einem Sex-Partys auch nicht sittenwidrig oder anstößig erschienen.
Prinzipiell geht es beim Maklergeschäft darum, viele Finanzprodukte zu verkaufen, die möglichst hohe Provisionen einbringen. Die Besonderheit am Strukturvertrieb: Bei den Haustürgeschäften verdienen die Vorgesetzten der "Struktur" immer mit, je höher in der Hierarchie, desto mehr.
Die besten Zeiten für Strukturvertriebe sind laut Müller allerdings vorbei. Besonders eine Gesetzesreform, die 2008 und 2009 umgesetzt wurde, habe dem Strukturvertrieb "stark zugesetzt". Es gebe strengere Auflagen. Die Kosten seien "enorm gestiegen". Und da inzwischen auch Banken aggressiv Versicherungen verkauften, werde das Geschäft noch schwieriger. Es sei nicht leicht, den "angeeigneten Lebensstil" aufrechtzuerhalten.