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Statt Plastikmüllflut Statt Plastikmüllflut: Biokunststoff-Tragetaschen aus Neuruppin

Von Gudrun Janicke 19.03.2012, 09:57
Plastiktütenproduktion - Ein Mitarbeiter kontrolliert im Ruppiner Papier und Folienwerk GmbH in Neuruppin ob die Henkel korrekt mit den Tragetaschen verklebt wurden. (FOTO: DPA)
Plastiktütenproduktion - Ein Mitarbeiter kontrolliert im Ruppiner Papier und Folienwerk GmbH in Neuruppin ob die Henkel korrekt mit den Tragetaschen verklebt wurden. (FOTO: DPA) dpa-Zentralbild

Neuruppin/dpa. - Vom Äußeren her fällt dem Laien keinUnterschied auf. Beide Supermarkt-Tragetaschen sehen identisch aus,gleiche Tragegriffe, ähnliches Werbelogo - doch die eine ist auskonventionellem Kunststoff, die andere aus Biokunststoff auf derBasis von Maisstärke und zu 100 Prozent kompostierbar.

Im Neuruppiner Werk der Victorgroup (Frechen/Nordrhein-Westfalen)werden seit drei Jahren neben herkömmlichen auch Tragetaschen ausBiokunststoffen hergestellt. Jens Boggel, Vertriebsleiter derVictorgroup erläutert: «Das Produkt findet immer mehr Akzeptanz beimKunden. Auch bei denen, die traditionell nicht zur Biofraktiongehören.»

Derzeit werden nach Angaben der Fachagentur für nachwachsendeRohstoffe im Jahr in Deutschland fast 40 Prozent der 14 MillionenTonnen Verpackungen aus Kunststoff aus fossilen Energieträgern wieErdöl hergestellt. Rund 1,8 Millionen Tonnen entfallen auf kurzlebigeKunststoffverpackungen wie Folien oder Tragetaschen. Die EU plantunterdessen ein Verbot von Plastiktüten. Biokunststoffen ausnachwachsenden Rohstoffen wie Mais, Zucker oder Getreide haben da eingroßes Potenzial: Für Partygeschirr, Folien, aber auch für dieFertigung von Konsolen im Auto können sie genutzt werden.

Das Neuruppiner Unternehmen ist im vergangenen Jahr für seine Ideeeiner Tragetasche aus Bio-Polymeren mit dem Zukunftspreis des LandesBrandenburg geehrt worden. «Bislang wurden bereits mehrere MillionenBio-Tragetaschen aus nachwachsenden Rohstoffen verkauft», sagtBoggel. Kunden großer Einzelhandelsketten (Aldi, Rewe) können an derKasse wählen: Bio- oder konventioneller Beutel. Sie sind etwa zwei-bis viermal teurer als herkömmliche Tüten.

Boggel erläutert, dass mit dem Chemieunternehmen BASF das Produktauf der Basis eines biobasierten Kunststoffes entwickelt wurde. Indiesem Fall Maisstärke aus Industriemais. Der Anteil von Erdöl zurFertigung konnte bereits zur Hälfte durch pflanzliche Stärke ersetztwerden. Forscher arbeiten daran, den Bio-Anteil weiter zu erhöhen. Imnächsten Jahr solle er bereits bei zwei Drittel liegen. Nach Angabenvon Boggel investierte das inhabergeführte mittelständischeUnternehmen rund 2 Millionen Euro in das Projekt «Bio-Beutel».

Wichtigster Unterschied im Vergleich zu den traditionellenBeuteln: sie sind biologisch abbaubar und kompostierbar. Beiindustrieller Kompostierung sind nach 80 Tagen mehr als 90 Prozentbiologisch abgebaut. Nach sechs Monaten sind auch kleinste Partikelwertvoller Kompost.

Für den Interessenverband der Europäischen BiokunststoffindustrieEuropean Bioplastics (Berlin) ist das Potenzial noch lange nichtausgereizt. Nach Angaben von Sprecherin Kristy-Barbara Lange gehörtVictorgroup zu der Handvoll Unternehmen in Deutschland, die derartigeTragetaschen herstellen. «Als Verband sprechen wir uns für dieReduzierung von übermäßigem Verbrauch bei Einweg-Plastiktüten aus,dort wo der Verbrauch nicht reduziert werden kann, müssen wir aufNachhaltigkeit setzen», sagt sie.

Der Branchenexperte Daniel Stricker (kunststoff web) dämpft allzugroße Hoffnungen: Biokunststoffe bleiben ein Nischenprodukt. Für denGesamtmarkt haben sie eine geringe Bedeutung.

Im Neuruppiner Werk läuft die Produktion beider Tragetaschen aufden gleichen Maschinen. Im Monat sind es rund 5 Millionen Stück,davon 60 Prozent Bio. Das Granulat wird über ein kompliziertes Systemvon Spritzdüsen und durch Wärme wie ein große Kaugummiblaseaufgepumpt, abgekühlt und dann zu einer Fläche gezogen. Dann kommendie Plastikbahnen auf riesige Rollen, die bedruckt werden. Maschinellwerden die Tüten gefaltet und farbige Griffe angeschweißt.

Qualitätsassistentin Laura Wolter ist für Gütekontrolle zuständig:alle Stunde wird aus der laufenden Produktion ein Exemplar entnommen.Getestet wird unter anderem die Reißfestigkeit. Die etwa 32 Grammschwere Bio-Tüte muss ohne Probleme 13 bis 14 Kilogramm Gewichtaushalten. Wolter ist zufrieden: «Der Henkel reißt nicht.».

Die Victorgroup liefert mehr als 1200 Produkte: Aluminiumfolien,Servietten, Dekoartikel und Tragetaschen - vor allem alsKunden-Eigenmarken. Deutschlandweit werden etwa 100 Mitarbeiterbeschäftigt, davon 75 im Neuruppiner Werk. Der Umsatz liegt nachFirmenangaben bei mehr als 100 Millionen Euro. Beliefert werdenSupermarktketten in ganz Europa. «Tendenz steigend», sagt Boggel. ImVisier der Neuruppiner sind jetzt Bio-Supermärkte.