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Sie haben Geld zu verteilen Sie haben Geld zu verteilen: So stöbern die Stammbaum-Detektive unbekannte Erben auf

Von Julius Lukas 07.03.2019, 09:01
Das weiße Band ist kein Teppich, sondern ein Stammbaum. Daniel Hintersdorf und Cornelia Andrae-Markgraf haben ihn erstellt.
Das weiße Band ist kein Teppich, sondern ein Stammbaum. Daniel Hintersdorf und Cornelia Andrae-Markgraf haben ihn erstellt. Lukas

Gera - Rollen gehört zum Berufsalltag eines Erbenermittlers dazu. Gemeint ist das Rollen von Papierrollen. Das macht Daniel Hintersdorf nämlich gerade auf dem Büroflur. Der lange Gang als Untergrund ist unverzichtbar. Denn das übergroße Stück Papier, das er auswickelt, würde jeden normalen Bürotisch sprengen. Nachdem Hintersdorf bereits fünf Meter ausgerollt hat, schaut er kurz auf und sagt: „Das war jetzt nur die mütterliche Seite.“ Dann rollt er geduldig weiter.

Am Ende liegen zehn Meter zusammengeklebtes und geheftetes Papier auf dem grauen Teppichboden. Es ist der Stammbaum einer Verstorbenen.

Daniel Hintersdorf und seine Kollegin Cornelia Andrae-Markgraf haben ihn zusammengesetzt - eine detektivische Kleinstarbeit, die so umfangreich und anspruchsvoll ist, wie das 5.000-Teile-Puzzle einer Winterlandschaft. „Wir machen eine umgedrehte Schatzsuche: das Erbe haben wir und nun müssen wir diejenigen finden, denen es gehört“, erklärt Andrae-Markgraf. Und das kann sich lohnen. Im Fall des Riesen-Stammbaums geht es immerhin um einen fünfstelligen Betrag.

Die beiden Juristen arbeiten im Geraer Büro von „Gen“, einem Unternehmen, das sich auf die Ermittlung von Erben spezialisiert hat. Bundesweit sind die Berliner eine der größten Firmen in diesem Metier. Die Niederlassung im thüringischen Gera ist der Platzhirsch in Mitteldeutschland.

Erbenermittler suchen Erben: Halbe Million Euro zu vergeben

Die Arbeit von Erbenermittlern findet viel in Archiven statt. Diese durchforsten sie nach Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden. In die Öffentlichkeit treten sie nur selten. Manchmal ist das jedoch notwendig.

So etwa Mitte Februar, als eine Kanzlei aus Heilbronn (Baden-Württemberg) sich an das Naumburger Tageblatt/MZ (Burgenlandkreis) wandte. Die auf die Hinterbliebenensuche spezialisierten Anwälte waren mit der Ermittlung eines Erben beauftragt. Eine halbe Million Euro waren zu vergeben. Eine heiße Spur führte nach Sachsen-Anhalt, wo ein Sohn des Verstorbenen vermutet wurde. Sein Name: Dietrich. Seit zwei Jahren verliefen die Bemühungen der Anwälte allerdings bereits ergebnislos.

Das änderte sich mit dem Text in der Zeitung. Es dauerte zwei Tage, da meldete sich eine Frau in der Redaktion. Es war die Frau des gesuchten Dietrich. Ihr Mann ist zwar bereits verstorben, trotzdem hat die Naumburgerin Anspruch auf die 500.000 Euro.

Das Verrückte daran: Die einzige Spur der Ermittler in den Burgenlandkreis war eine Weihnachtspostkarte aus dem Jahr 1969. Die wurde im Nachlass des Verstorbenen entdeckt. Dietrich hatte sie an seinen Vater geschrieben. Darüber hinaus wurde der Sohn aus Sachsen-Anhalt nämlich in Hessen totgeschwiegen, da er außerehelich gezeugt worden war.

Fälle dieser Art kennt auch Holger Siebert. Er ist Geschäftsführer von Gen, dem Erbenermittlungs-Unternehmen. Er sitzt in Gera in seinem Büro. An der Wand hängt eine historische Karte von Berlin.

„Die Post der Erblasser ist eine ganz wichtige Quelle für uns“, sagt der Jurist. Darin entdecke man oft Hinweise auf wichtige Personen aus dem Leben des Verstorbenen. Und deren Suche sei schließlich ihre Aufgabe. „Der Fantasie unserer Ermittler sind dabei keine Grenzen gesetzt“, mein Siebert.

Jede Möglichkeit die sich bietet, um eine Information zu beschaffen, würde auch genutzt - solange sie legal sei. „Gerade hatte wir eine Fall, da hat der Ermittler im Tennisclub des Verstorbenen recherchiert“, erzählt der Geschäftsführer. Über die Sekretärin dort sei er dann sogar an die entscheidenden Kontakte gekommen, die bei der Verteilung des Erbes halfen.

Sich von Person zu Person hangeln, das ist auch etwas, von dem Cornelia Andrae-Markgraf und Daniel Hintersdorf erzählen. Sie haben sich über das ausgerollte Papier gebeugt und zeigen auf einen schwarzen Punkt, der etwa in der Mitte der zehn Meter langen Bahn aufgemalt ist.

„Das ist die Erblasserin“, erklärt Hintersdorf. Sie sei der Ausgangspunkt ihrer Recherche, von dem aus es mit vielen Fragen weitergeht: War die Frau verheiratet? Ja, der Mann ist aber bereits verstorben. Hatte das Paar Kinder? Nein.

„Deswegen schauen wir, ob die Verstorbene Geschwister hatte“, erklärt Cornelia Andrae-Markgraf. Es habe zwar einen Bruder gegeben, der ist aber auch bereits verstorben und hatte keine Kinder. So geht es weiter nach oben in der Hinterbliebenen-Rangfolge - bis auf die Ebene der dritten Erbordnung. „Das bedeutet, wir suchen nach den Abkömmlingen der Großeltern mütterlicher- und väterlicherseits“, erklärt Hintersdorf.

Und dort fanden die zwei Juristen dann auf beiden Seiten zehn Geschwister, was den Stammbaum auf die Größe eines kleinen Waldes anwachsen ließ.

Manchmal, erzählt Gen-Geschäftsführer Holger Siebert, geht es sogar noch eine Erbordnung weiter höher. „Dann wird das Erbrecht über die Urgroßeltern vermittelt und wir bewegen uns in der Zeit um den Ersten Weltkrieg.“

Das erklärt auch, weswegen die Stammbaumdetektive bei ihrer Suche fast immer auf überraschte Erben treffen. Der Regelfall ist nämlich, dass die Hinterbliebenen nichts vom Verstorbenen wussten - also nicht einmal von dessen Existenz. „Die Verwandtschaft liegt oft so weit auseinander, dass der Kontakt nicht mehr da war.“

Da die Ermittlungen oft zeitlich weit zurück gehen, seien Mitarbeiter wichtig, die geschichtliches Wissen haben. „Deswegen beschäftigen wir neben Juristen auch zahlreiche Historiker“, sagt Siebert. Die seien es gewohnt, alte Urkunden zu lesen - zum Beispiel in Sütterlin-Schrift. „Und sie kennen sich bei für uns wichtigen Themen aus, wie etwa Flüchtlingsströmen: Wann wurde von wo in welche Länder ausgewandert - das zu wissen, kann sehr hilfreich sein.“

Diese Bevölkerungsbewegung über die Jahrzehnte hinweg führt auch dazu, dass die Ermittler aus Gera fast immer auch im Ausland suchen müssen. Im Unternehmen werden deswegen 24 verschiedene Sprachen gesprochen. Büros gibt es nicht nur in Deutschland, sondern auch in Tschechien, Polen und den USA.

„Ein klassischer Fall ist zum Beispiel“, erzählt Siebert, „dass eine deutsche Frau nach dem Zweiten Weltkrieg einen amerikanischen Soldaten kennengelernt hat und die ein Kind bekommen haben.“ Deswegen würden viele Erben in den USA gefunden werden.

Eine Folge dieser Internationalität ist, dass sich die Gen-Mitarbeiter auch in ausländischem Erbrecht auskennen müssen. Besonders kompliziert wird es etwa, wenn es um adoptierte oder nicht-eheliche Kinder geht. „Bei den Adoptionen gibt es zum Beispiel zeitlich verschiedene Rechtslagen“, erklärt Siebert.

Hintergrund ist, dass die meisten europäischen Länder in den 70er und 80er Jahren das entsprechende Recht reformierten. „Seitdem haben adoptierte minderjährige Kinder keinerlei Erbbezug mehr zu ihren leibliche Eltern“, sagt Siebert. Solche Feinheiten müsse man kennen.

Erbenermittler erhalten im Erfolgsfall Provision

Weit verzweigte und internationale Familien führen dazu, dass die Erbensuche schnell mit großem Aufwand verbunden ist. Deswegen müssen die Familienforscher sehr genau abwägen, welchen Nachlassfall sie auch annehmen. „Denn wir ermitteln auf eigenes Risiko“, sagt Geschäftsführer Siebert.

Bezahlt wird das Unternehmen nur, wenn auch Erben gefunden werden - also im Erfolgsfall. „Dann bekommen wir eine Provision, die zwischen 15 und 33 Prozent des Erbes liegt“, sagt Siebert. Die Höhe hängt von er Komplexität des Falls und dem Zeitaufwand ab. „Allerdings bekommen wir das Geld auch nur, wenn der Erbe eine Honorarvereinbarung mit uns unterzeichnet.“ Tut er das nicht, bekommt er allerdings auch kein Erbe.

Im Fall der Erblasserin mit dem Mammut-Stammbaum musste diese Vereinbarung am Ende mit über 50 verschiedenen Personen getroffen werden - denn genau so viele Erben haben Daniel Hintersdorf und Cornelia Andrae-Markgraf gefunden.

„Am Ende hatten wir einen Ordner mit 300 Urkunden, die alle verwandtschaftlichen Beziehungen darstellten“, erzählen sie. Ihre gesamten Erkenntnisse haben die beiden Detektive nun dem Nachlassgericht übergeben, das auf dieser Grundlage entscheiden muss, wer etwas vom Erbe abbekommt.

Sollte es bei den etwas mehr als 50 Personen bleiben, dürfte für den Einzelnen allerdings keine ganz so große Summe rausspringen wie etwa im Naumburger Fall. Aber auch wenn es am Ende nur einige Hundert Euro sind, sei das doch immerhin etwas, mein Cornelia Andrae-Markgraf. „Denn die Alternative wäre ja, nichts zu erben.“ (mz)

Durch diese Postkarte wurden die Erben von 500.000 Euro gefunden.
Durch diese Postkarte wurden die Erben von 500.000 Euro gefunden.
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