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Rückkehr der Ost-Spiele Rückkehr der Ost-Spiele: Einer der größten Händler im Osten legt DDR-Klassiker neu auf

Von Steffen Höhne 19.03.2019, 11:00
Ein ganzes Regal in seinem Chemnitzer Spielzeuggeschäft hat Ralf Viehweg bereits mit der Neuauflage der DDR-Spieleklassiker gefüllt.
Ein ganzes Regal in seinem Chemnitzer Spielzeuggeschäft hat Ralf Viehweg bereits mit der Neuauflage der DDR-Spieleklassiker gefüllt. Andreas Stedtler

Annaberg-Buchholz - An der Kasse des Chemnitzer Spielzeuggeschäfts „Rabattz“ steht ein kleiner Junge, in der Hand hält er ganz fest Rubble von „Paw Patrol“. Nur widerwillig gibt er die Figur der Kassiererin. Seine Großeltern bezahlen das Spielzeug zur gleichnamigen Zeichentrickserie, die sich um eine Art Hundespezialeinheit dreht. „Paw Patrol“ ist bei den Drei- bis Sechsjährigen aktuell beliebt, aber nur ein Artikel von etwa 25.000, die Ralf Viehweg in seinem Geschäft führt. Der 59-Jährige besitzt einen der größten Spielzeugläden Ostdeutschlands, Plüschtiere reihen sich in den Regalen neben Playmobil und Puzzeln. Angesichts der Fülle ist es kaum zu glauben, dass es noch Marktlücken geben könnte. Doch der Spieleexperte hat offenbar eine gefunden: Seit drei Jahren ist der Händler auch Hersteller, der Kinder- und Familienspiele aus der DDR wie „1,2,3 ... ich fange Dich“ oder „Wir sammeln Pilze“ als Replik herausbringt.

DDR-Spiele als Replik: Kundenwünsche getroffen

Angefangen hat alles mit einer Ausstellung zum Alltagsleben in der DDR. Einige Händler verkauften am Rande der Veranstaltung laut Viehweg Produkte, die noch aus sozialistischen Zeiten stammten. „Ich war fasziniert und schockiert zugleich“, berichtet er. Denn Waren, die einst wenige Pfennige kosteten, seien für mehrere Euro angeboten worden. Viehweg recherchierte daraufhin, was aus DDR-Spielen und deren Herstellern geworden ist, und stellte fest, dass kaum einer übrig geblieben ist.

2016 gründete der Geschäftsmann daher in der Erzgebirgsstadt Annaberg-Buchholz das Unternehmen Spika GmbH neu. Das Firmenkürzel steht es für Spielewerk Karl-Marx-Stadt. Einst war Spika der größte Brettspielhersteller der DDR, 1993 wurde die Chemnitzer Firma jedoch liquidiert. Viehweg sicherte sich zunächst die Namensrechte und legte das Spiel „Die Ruhebank“ neu auf, es folgte „Im Märchenwald“.

Viehweg packt das Brettspiel aus, das erstmals 1976 auf den Markt kam. Die Spieler wandern durch die zauberhafte Märchenwelt mit Rotkäppchen, dem gestiefelten Kater, dem tapferen Schneiderlein und vielen anderen Märchenfiguren. Treffen sie dabei auf ein Feld einer Märchengestalt, so gilt es eine Aufgabe zu erfüllen.

DDR-Spiele als Replik werden sehr erfolgreich verkauft

„Es ist kaum zu glauben, aber auf dem Markt gibt es kaum Spiele, die sich mit Märchenfiguren beschäftigen“, erklärt der Spieleverleger. Mit „Im Märchenwald“ traf er die Wünsche der Kundschaft. Nach seinen Angaben wurden in kurzer Zeit 3.500 Spiele verkauft. Noch erfolgreicher verlaufe der Absatz von „Tatü-tata ... die Feuerwehr ist da!“ Bereits 1988 machte sich Viehweg in der DDR mit einem Spielzeuggeschäft selbstständig. Am Firmensitz in Annaberg-Buchholz werden auch die Neuauflagen gestaltet. Spika-Markenzeichen sind die markanten Spielfiguren: großer, spitzer Hut, Kegelkörper und dürre Beine. Die Männchen lässt Viehweg bei Eitech im Eichsfeld fertigen. Die Thüringer sind bekannt für ihre Metallbaukästen und einer der wenigen ostdeutschen Spielzeughersteller, die nach der Wende am Markt bestanden haben.

Der deutsche Spielzeugmarkt ist in den vergangenen Jahren gewachsen. Nach Angaben des Deutschen Verbandes der Spielwarenindustrie lag der Umsatz im Jahr 2018 bei etwa 3,1 Milliarden Euro. In dem Verband sind die 230 größten deutschen Hersteller vertreten. Nach Schätzungen gibt es insgesamt mehr als 600 Spielzeugfirmen in Deutschland, die etwa 11.000 Mitarbeiter beschäftigen. Nicht alle Unternehmen besitzen eine eigene Produktion. Viele Verlage entwickeln auch nur Spiele und lassen sie bei Zulieferern fertigen. Nach Angaben des Verbandes Spieleverlage e.V. werden jedes Jahr in Deutschland etwa 50 Millionen Spiele verkauft. Rund fünf Millionen Deutsche spielen in ihrer Freizeit regelmäßig Gesellschaftsspiele.

Spieletrend Wegwerfspiel: Jährlich kommen etwa 1.000 neue Spiel auf dem Markt, häufig handelt es sich nur um Abwandlungen bestehender Spiele. Neu sind sogenannte Wegwerfspiele wie „Pandemic Legacy“. Vier gefährliche Viren bedrohen die Menschheit. In gemeinsamer Mission unternehmen die Spieler den Versuch, Heilmittel zu entwickeln und das Leben auf der Erde zu retten. Dabei werden von den Spielern Sticker auf den Plan geklebt, Boxen mit neuem Material geöffnet, Karten zerrissen, Regeln ergänzt. Erfolge und Katastrophen hallen laut Spieleentwickler nach und beeinflussen alle Folgepartien. Nach 24 Runden ist das Spiel dann ausgespielt.

Anhand alter Spielexemplare werden die Spielbretter von Grafikerin Jana Schmidl gestaltet. Mit Scanner und Fotobearbeitungsprogramm werden sie farblich wieder zum Leuchten gebracht. Viehweg will bewusst keine Veränderungen zum Original.

Illustrationen der frühen DDR-Spiele: „Das ist großartiges Kunsthandwerk“

Viele Illustrationen der frühen Spiele aus den 50er und 60er Jahren stammen von Marianne Drechsel. Die sächsische Künstlerin, die 2016 im Alter von 92 Jahren verstarb, zeichnete mit viel Liebe zum Detail Spiele wie „Fröhliches Pilzesuchen“ oder „Erntefest im Schrebergarten“. „Das ist einfach großartiges Kunsthandwerk“, sagt Viehweg. „Allein deswegen ist eine Neuauflage gerechtfertigt.“ Produziert werden die Brettspiele auch bei einem großen ostdeutschen Spielehersteller - in der Altenburger Spielkartenfabrik.

Beim Verkauf setzt der Spieleverleger natürlich auf Nostalgie: „Eltern oder Großeltern wollen Kindern die Spiele schenken, die schon sie begeistert haben.“ Viehweg hält die Spiele jedoch keineswegs für veraltet. Sie seien lehrreich und ohne große Anleitung schnell erlernbar. Das zeichne auch heute gute Spiele aus.

Der Markt für Brettspiele wächst insgesamt in Deutschland

Dem Spieleverlag hilft, dass der Markt für Brettspiele insgesamt wächst. „Im Jahr 2018 wurden in Deutschland mehr als 50 Millionen Spiele verkauft“, erklärt Wolf Günthner vom Verband Spielverlage. Die wichtigste Unterkategorie Brett- und Aktionsspiele habe sich am stärksten entwickelt und ein Wachstum von 18 Prozent erzielt. Die Entwicklung liegt nach Ansicht von Günther nicht in Konkurrenz zu digitalen Produkten, da beim Spielen mehr die soziale Komponente und gemeinsame Erlebnisse im Vordergrund stehen. Oder vereinfacht gesagt: Um die Kinder vom Tablet wegzubekommen, spielen die Eltern zunehmend mit ihnen Brettspiele.

DDR-Klassiker wirken heute manchmal auch politisch inkorrekt

Die DDR-Klassiker füllen in Viehwegs Chemnitzer Geschäft bereits ein Regal. Doch das soll erst der Anfang sein. „Wir planen, dieses Jahr neun Spiele herauszugeben“, kündigt der Firmenchef an. In der Planung sind Titel wie „Der bunte Würfel“ oder „Wir gehen einkaufen“. Bei letzterem steht ein Kind vor einem Tabakladen. „Das ist heute natürlich politisch inkorrekt, doch in den 50ern haben die Kinder Zigaretten für den Vater oder Großvater geholt“, sagt Viehweg.

Mit einer zunehmenden Zahl an Spielen will er seinen Verlag auch in die schwarzen Zahlen führen. 50 Händler beliefert der Verlag bereits. In diesem Jahr soll das Vertriebsgebiet ausgeweitet werden. Hat er nicht Sorge, dass seine Klassiker bei jährlich 1.000 Neuerscheinungen auf dem Markt untergehen? Viehweg schüttelt den Kopf: „Nein, Brettspiele sind beliebt und wir liefern ein unverwechselbares Format.“ Er vertraue seiner Erfahrung. Action-Figuren wie „Paw Patrol“ und Brettspiel-Klassiker schließen sich gegenseitig nicht aus. (mz)