Wolfgang Schäuble Wolfgang Schäuble: Abschied vom Abschied

BERLIN/MZ. - "Wenn du einmal in derPolitik bist, kommst Du nicht mehr raus."Der Satz ging 1972 einem jungen Finanzbeamtenaus Freiburg durch den Kopf, als er das Angebotbekam, für den Bundestag zu kandidieren. 38Jahre später ist Wolfgang Schäuble der dienstältesteAbgeordnete des Parlaments, der erfahrenstePolitiker der Republik. Dabei schien seineLaufbahn schon im Oktober 1990 zu Ende. Kurznachdem er als Bundesinnenminister den deutsch-deutschenEinigungsvertrag ausgehandelt hatte, überlebteSchäuble drei Schüsse eines Geistesgestörtennur knapp. Seither macht der inzwischen 68-Jährige,vom dritten Halswirbel abwärts gelähmt, Politikaus dem Rollstuhl.
Doch nun holen die Spätfolgen des Attentatsihn ein und den (inzwischen) Bundesfinanzministerwomöglich doch noch raus aus der Politik.Fünf Mal war Schäuble in diesem Jahr schonim Krankenhaus - im März, weil ein Implantat,das er zu Regulierung seiner Darmfunktionbraucht, in einer achtstündigen Operationausgewechselt werden musste; danach immerwieder, weil die Wunde partout nicht heilenmag. Spekulationen über seinen Rücktritt hater mit sarkastischem Witz ertragen, einmalsogar einen Journalisten am Krankenbett empfangen,um seine Regierungsfähigkeit auch im Schlafanzugzu demonstrieren.
Vier Wochen Klinik müssen es diesmal sein.An ihrem Beginn heißt es nun im "Stern", Schäublehabe in einem Telefongespräch Kanzlerin AngelaMerkel (CDU) erstmals seinen Abschied angeboten.Die Antwort der Kanzlerin: "Nein, ich möchtedas nicht." Nach längerem Hin und Her habeman eine letzte Frist vereinbart.
Der Autor des Berichts ist nicht irgendwer.Hans-Peter Schütz hat Schäuble 1990 für eineReportage begleitet und kurz vor dem Attentatmit ihm Tennis gespielt. Ihnen wird ein Vertrauensverhältnisnachgesagt. Der Journalist zitiert auch Schäublesjüngeren Bruder Thomas: "Das über halbjährigeWundsein hat ihn zermürbt."
In der Bundespressekonferenz nannte SchäublesSprecher Michael Offer die Meldung zunächst"reine Spekulation". Kurz darauf schob ernach: "Es gab weder ein Rücktrittsangebotnoch eine Fristsetzung." Zwischen Stufe einsund zwei hatte sich das Handy des Sprechersbemerkbar gemacht. Er sei in unmittelbaremKontakt mit dem Minister, erläuterte er, undhabe "eine Information bekommen".
Die zweite Teilnehmerin des tatsächlichenoder angeblichen Gesprächs schwieg am Mittwoch.Ihren Vizeregierungssprecher ließ Angela Merkelerklären: "Die grundsätzlich positive Haltungder Kanzlerin zu ihrem Minister ist ja seitWochen bekannt." Hat Schäuble nun seinen Rücktrittangeboten oder nicht? Selbstverständlich hater vor dem neuen Krankenhausaufenthalt mitMerkel gesprochen - über seine Gesundheitund die Konsequenzen. Fragt sich nur: Mitwelcher Deutlichkeit? Hat Schäuble sein Schicksalin Merkels Hand gelegt? Bei diesem stolzenMann - unwahrscheinlich. Allerdings ist esdurchaus in seinem Sinne, dass die Öffentlichkeitnicht den Eindruck bekommt, da klebe ein alterkranker Mann um jeden Preis an seinem Amt.Und da ist noch die Familie: Ehefrau Ingridäußert sich nicht. Aber die Brüder Thomasund Frieder haben wiederholt öffentlich ihreSorge durchblicken lassen, dass es nötig seinkönnte, Wolfgang Schäuble vor sich selbstzu schützen. Wirklich?
Sein beeindruckendes, aber auch beängstigendesPflichtbewusstsein hat Schäuble über 20 Jahrein Ämtern gehalten. Vor allem, weil der Badenermit preußischem Staatsverständnis seinem Landdienen will. Sollte er sehen, dass ein ständigkranker Minister ihm eher schadet, wird erdie Konsequenz ziehen. Er. Allein. Fristlos.