Gastbeitrag zur US-Wahl Warum es sich nach Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten seltsam anfühlt, Kanadier zu sein

Ottawa - Von seiner Tankstelle aus, an der amerikanisch-kanadischen Grenze, sieht Peter Schrauwen täglich Hunderte von LKW vorbeifahren.
„Wir haben keine Ahnung, was jetzt passieren wird“, hat mir Schrauwen am Telefon gesagt, aus seinem kleinen Laden in Surrey, im Südwesten der kanadischen Provinz British Columbia. „Wir wollen einfach, dass die Dinge ganz normal weitergehen“.
Auseinandergelebt
Als kanadischer Journalist in Ottawa bin ich Dienstagabend ins Bett gegangen und habe mich gefragt, warum sich unsere zwei Länder bloß so weit auseinandergelebt haben.
Im Oktober vergangenen Jahres haben wir unseren Premierminister Justin Trudeau gewählt. Er hatte versprochen die Zuwanderung auszubauen, eine Kohlenstoffsteuer (Emissionssteuer) zu implementieren und Sozialprogramme auszubauen - trotz 30 Milliarden Dollar Defizit.
Ein Jahr später hat Amerika einen Mann gewählt, der Muslimen die Einreise ins Land verbieten will, der die Klimaveränderung eine Erfindung der chinesischen Regierung nennt, der Amerikas kärgliches Krankenversicherungsprogramm wieder eindampfen will.
An seiner Tankstelle quatscht Schrauwen mit seinen Kunden: „Alle Kanadier waren pro-Clinton. Aber die Amerikaner waren gespalten.“ Besucher aus dem ländlichen Staat Washington trugen Trumps rote Hüte mit der Aufschrift „Make Amerika Great Again“, während die reicheren Liberalen auf einem Kurztrip aus Seattle Clinton oder Bernie Sanders unterstützten.
Was ist der Unterschied? Schrauwen und ich sind uns da beide nicht sicher. Amerika ist das Land der Möglichkeiten, aber in Kanada haben wir schon immer ein stärkeres soziales Netz gehabt. Es ist nicht perfekt, aber bei uns kann man nicht obdachlos werden nur wegen zu hoher Arztkosten.
Außerdem vertrauen wir unseren Institutionen viel mehr als unseren Politikern. Im Jahr 2013 kam an die Öffentlichkeit, dass Torontos Bürgermeister Rob Ford Crack rauchte. Es waren nicht unsere stolzesten Zeiten, aber die Stadtverwaltung und die städtischen Dienste liefen ganz normal weiter, trotz der häufigen Abwesenheit und der Zusammenbrüche des Bürgermeisters.
Im selben Jahr wurden die Tätigkeiten der US-Regierung zwei Wochen lang komplett herruntergefahren, weil der Kongress gegen die Krankenversicherung gestimmt hatte. Das Ganze kostete das Land 24 Milliarden US-Dollar.
Wirtschaftliche Unsicherheiten
Dienstagabend veranstaltete der US-Botschafter in Ottawa einen exklusiven Wahlabend. Der Abend startete mit guter Laune. Viele Künstler, Wirtschaftsbosse und Journalisten kamen zusammen. Aber die Gruppe fiel mehr und mehr auseinander, als die Wahlergebnisse reinkamen.
Unsere Umwelt- und Finanzminister lächelten nervös auf Fotos mit dem US-Botschafter. Der Finanzminister wurde schnell von uns weggerissen, als wir Journalisten ihn nach den Börsencrashs und wackeligen Weltmärkten fragten.
Am Ende war der Raum leer, bis auf eine Handvoll von Journalisten, die ausharrten. „Egal wer dieses Rennen gewinnt, die US-kanadischen-Beziehungen werden weiterhin wachsen und stark sein“, sagte US-Botschafter Bruce Heyman zu der kleinen übriggebliebenen Gruppe.
Wir hoffen, dass das wahr ist. Kanada ist Amerikas größter Handelspartner,dabei haben wir nur ein Neuntel der Bevölkerung der USA.
Niedrige Rohstoffpreise für Güter wie Öl, Getreide und Holz haben unsere Wirtschaft geschwächt. Unsere Währung hat in zwei Jahren ein Viertel ihres Wertes verloren, aber das hat unserer Produktion nicht geholfen. Unsere führenden Politiker wollen mehr exportieren, aber Länder wie Deutschland sind skeptisch gegenüber CETA und beide, Trump und Clinton, wollen weitere Einschnitte von Handelsabkommen durchsetzen.
„Trumps Präsidentschaft wird ein Chaos auf den großen Märkten der Welt anrichten, in New York, in Frankfurt, London und Tokyo. Aber für Kanada wird es ein noch größeres Problem bedeuten“, sagt Ian Lee, Assistenz-Wirtschaftsprofessor (Lehrbeauftragter) an der Carleton University in Ottawa.
„Es wird chaotisch werden - und ich bin kein apokalyptischer Mensch.“
Erster Mensch auf dem Mond
Es fühlt sich jetzt seltsam an, Kanadier zu sein.
In den vergangenen zwölf Monaten hat Kanada 33.000 Syrer eingeflogen, eine Luftbrücke, die bei Kanadiern weitgehend anerkannt und beliebt ist. (Das ist leichter für uns als für Deutschland. Die UN versichern, es seien alles legale Flüchtlinge und sie hätten alle Sicherheitschecks durchlaufen. Wir grenzen nicht an ein Land, das Flüchtlinge hervorbringt. Und wir hatten noch nie einen größeren Terroranschlag.)
Im Gegenzug hat mir ein muslimischer Führer in Los Angeles, Salam Al-Marayati, erzählt, dass amerikanische Muslime in „virtueller Internierung“ leben, wo sie von Fremden gefragt werden ob sie den IS unterstützen, wo sie aus Flugzeugen geworfen werden wenn sie arabisch sprechen, wo konspirative Thesen täglich im Radio zu hören sind.
Kurz vor Mitternacht kanadischer Zeit ist die Internetseite der kanadischen Einwanderungsbehörde wegen Überlastung zusammengebrochen. Zwei Stunden später, als ein Journalist unseres öffentlich-rechtlichen Rundfunksenders vor dem Weißen Haus stand, fingen Fremde an unsere Nationalhymne zu singen, „O Canada“.
Es ist ja ganz schön, diese Aufmerksam zu bekommen, aber es ist sehr ungewohnt für uns Kanadier. Ist Amerika nicht das erste Land, das einen Menschen zum Mond geschickt hat? Wenn Donald Trump sagt, er möchte Amerika wieder großartig machen (Wahlslogan: „Make Amerika Great Again“), dann verstehe ich seine Prämisse, aber nicht seine Lösungen.
Unser Gast-Autor Dylan Robertson ist Journalist aus Ottawa, Kanada.
Übersetzung: Katrin Reiche
Originalversion: Grown so far apart
From his gas station on the U.S. border, Peter Schrauwen sees hundreds of freight trucks cross every day.
“We have no idea what’s going to happen now,” Schrauwen told me by phone from his Campbell River Store, in Surrey, British Columbia. “We just want to see things continue normally.”
As a Canadian journalist in Ottawa, I went to bed Tuesday night wondering why our two countries have grown so far apart.
Last October, we elected Prime Minister Justin Trudeau after he promised to increase immigration, implement a federal carbon tax, and increase social programs with $30 billion in deficits.
A year later, America has chosen a man who wants to ban Muslims from entering the country, who has called climate change a “hoax” invented by the Chinese government, who wants to cut back America’s meagre health insurance program.
At his gas station, Schrauwen is chatty with customers. “All the Canadians were pro-Clinton. But the Americans were split.” Visitors from rural Washington state wore Trump’s red ‘Make America Great Again’ hats, while richer liberals on weekend trips from Seattle would support Clinton or Bernie Sanders.
What’s the difference? Schrauwen and I both aren’t sure. America is the land of opportunity, but in Canada we’ve always had a stronger social net; it’s not perfect but you can’t become homeless due to medical costs.
We also trust our institutions a lot more than our politicians. In 2013, Toronto’s mayor Rob Ford was revealed to be smoking crack cocaine. It was not our proudest moment, but city services continued normally despite his frequent absences and meltdowns. That same year, the United States government shut down for two weeks, costing a $24 billion — because Congress opposed health insurance.
Economic uncertainty
Tuesday night in Ottawa, the U.S. ambassador held an exclusive event to watch the election. The evening started with a jovial mood, as scores of artists, business leaders and journalists circled the ballroom. But the crowd slowly exited as the results came in.
Our environmental minister and finance minister grinned nervously for photos with the ambassador. The finance minister’s aides pulled him away from reporters when we started asking him about the markets crashing.
At the end, the room was empty, except for a handful of reporters. “Regardless of who wins this race, the U.S.-Canada relationship will continue to thrive and be strong,” U.S. ambassador Bruce Heyman said to the small group.
We hope that’s true. Canada is America’s biggest trading partner, and we’re just one-ninth their population.
Low commodity prices (oil, wheat, wood) have crippled our economy. Our currency lost one-quarter of its value in two years, but that hasn’t helped our manufacturing sector. Our leaders want to export more, but countries like Germany are skeptical of CETA and both Trump and Clinton want to curtail trade deals.
Chaos
“It’s going to create chaos around the world, in the major markets, in New York, in Frankfurt, in London, in Tokyo. But in Canada it’s going to be even more problematic,” said Ian Lee, assistant business professor at Carleton University in Ottawa.
Canada’s global image
It is bizarre to be Canadian now.
Canada's example to the world
When I was a child, late-night anxiety in front of the television didn’t involve American election — instead a 1995 referendum almost had our French-speaking province separate (they stayed thanks to a 50.6% vote).
The rapper Drake started as a geeky teenage actor, and he’s now one of America’s top rap artists. After being a backwater, an afterthought, The Economist’s current front page speaks of "Canada's example to the world".
Virtual internment
In the past 12 months, Canada has brought 33,000 Syrians to Canada, in an airlift that remains widely popular among Canadians. (It is easier for us than Germany – the United Nations certifies these are all legitimate refugees, and they are thoroughly screened for security. We don’t border a refugee-producing state, and we’ve never had a major terrorist attack.)
Conversely, a Muslim leader in Los Angeles, Salam Al-Marayati, told me that American Muslims live in “virtual internment” where strangers ask them if they support IS, where they are removed from planes for speaking Arabic, where conspiracy theories can be regularly heard on the radio.
O Canada
Shortly before midnight Tuesday, the website for Canada’s immigration department crashed. Two hours later, when a journalist with our public broadcaster stood in front of the White House, strangers sung our national anthem, O Canada.
It’s nice to have this attention, but it’s not natural for us. Isn’t America the first country to put a man on the moon? When Donald Trump says he wants to “make America great again,” I understand his premise, but not his solutions.
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