Vorsitzender des Zentralrats der Muslime Vorsitzender des Zentralrats der Muslime: Aiman Mazyek sieht Flüchtlingsobergrenze in Deutschland "offenkundig bald erreicht"

Berlin - Es ist erst ein paar Tage her, dass der Präsident des Zentralrats der Juden angesichts des Flüchtlingsstroms nach Deutschland für eine Obergrenze plädierte und Widerspruch bekam. Auf Josef Schuster folgt nun der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime. Aiman Mazyek sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung: „Moralisch kann es wegen der Werte unserer Verfassung und unserer historischen Verantwortung keine Obergrenze geben. Technisch aber schon.“ Dann fügte er hinzu, ohne eine Zahl zu nennen: „Diese Obergrenze scheint in Deutschland offenkundig bald erreicht zu sein.“ Die Stellungnahme ist einerseits überraschend, andererseits auch wieder nicht.
Mazyek mit syrischen Wurzeln
Überraschend ist sie insofern, als Mazyeks Vater aus Syrien stammt und die Mehrzahl der Flüchtlinge derzeit von dort kommt. Da wäre ein Plädoyer für eine unbegrenzte Zuwanderung biografisch gesehen durchaus verständlich. Überdies hat der 46-Jährige nach dem Abitur 1989 zeitweilig Arabistik in Kairo studiert. Er weiß also aus erster Hand um die Misere der arabischen Welt.
Freilich ist Mazyek viel zu sehr Deutscher, um nicht auch die Probleme zu sehen, die millionenfache Zuwanderung binnen kurzer Zeit mit sich bringt. Seine Mutter ist Deutsche. Er selbst nahm 1992 in seiner Heimatstadt Aachen ein zweites Studium der Philosophie, Ökonomie und Politikwissenschaften auf, trat der FDP bei und gelangte 2010 an die Spitze des Zentralrats, als er sich in einer Kampfabstimmung gegen den bedächtigen Ayyub Axel Köhler durchsetzte.
Der machtbewusste Rheinländer Mazyek, von dem sich die anderen islamischen Verbände schon mal überfahren fühlen, rief die Muslime denn auch bereits vor Jahren auf, sich mehr mit der nationalsozialistischen Geschichte auseinanderzusetzen. Anlässlich einschlägiger Übergriffe sagte er einmal: „Ich bin ein Jude, wenn Synagogen angegriffen werden, ich bin ein Christ, wenn Christen beispielsweise im Irak verfolgt werden, und ich bin ein Muslim, wenn Brandsätze auf ihre Gotteshäuser geworfen werden.“
Wandel des bislang gelebten Islams geht einher
Eine Erklärung für Mazyeks Intervention zum jetzigen Zeitpunkt besteht im Übrigen darin, dass der türkische Islam, der in Deutschland vorherrscht, anders geprägt ist als der syrische. Der syrische Islam gilt als intellektueller, poetischer und religiös konservativer – zugleich aber auch als toleranter gegenüber anderen Religionen. Überdies gibt es historische Lasten. So wurden die Syrer über Jahrhunderte hinweg von den Osmanen unterworfen.
Durch die Flüchtlinge habe die Zahl der Muslime in Deutschland binnen weniger Monate um rund ein Viertel zugenommen, sagte Mazyek in dem Interview. Für die hier sesshaften Muslime bedeute dies einen Wandel des gelebten Islams und einen Wandel der Sicht der Gesellschaft auf sie. Gemeint ist wohl: Die ohnehin ausgeprägte Angst der Mehrheitsdeutschen wächst wieder. Wer angesichts dessen eine Obergrenze ins Gespräch bringt, versucht, die alteingesessenen Muslime vor den Komplikationen zu schützen, die sich aus den Neuen ergeben. Integrationsfähigkeit und -wille scheinen auch hier nicht unerschöpflich.