Volksentscheid zum Tempelhofer Feld Volksentscheid zum Tempelhofer Feld: Pro und Contra
Was spricht gegen eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes? Im Grunde gar nichts, sagt Redakteur Elmar Schütze. Denn Berlin braucht Wohnungen, und zwar in der Innenstadt und nicht irgendwo an der Peripherie.
Nein – die Innenstadt ist für alle da
Es ist schick, radikal zu tun. 100 Prozent Tempelhof, das klingt radikal und also flott. Ist aber zu kurz gedacht. Der Senat will dieses achte Weltwunder, diesen riesigen kahlen Platz für Hedonisten mitten in der Metropole ja nicht zubetonieren. Er will ihn am Rand bebauen. Die Mitte bleibt frei! Und hey, was soll an den Rand? Nicht etwa ein Kraftwerk oder gar ein Flughafen. Diese Zeiten sind vorbei.
Erinnern wir uns an 2008: Wir Berliner konnten sagen, ob in Tempelhof weiter geflogen werden soll. Am Ende setzten sich die durch, die diesen Standort für nicht mehr zeitgemäß hielten. Schwer genug war das gegen die Freunde des Hergebrachten, die wirtschaftliche Argumente und eine bedeutende Episode der West-Berliner Nachkriegsgeschichte auf ihrer Seite wähnten. Und doch setzte sich die Vernunft durch. Ein Flughafen im Zentrum bringt zu viel Lärm, zu viel Dreck, zu viel Gefahr. Also haben wir ihn per politischer Willensbekundung geschlossen. Und genau dieses Wir wird jetzt wieder gebraucht, für die Fortsetzung der Arbeit an einer zeitgemäßen und menschenwürdigen Innenstadt.
Als große Schwäche der damaligen Schließungsbefürworter galt stets, dass sie scheinbar keine schlüssige Idee für die spätere Nutzung hatten. Man sperrte erstmal das Volk aus. Kaum war das Feld dann offen, passierte etwas, das wir kennen: Das Gelände wurde genutzt, einfach so, von Grillern, Radlern, Surfern, allen möglichen Leuten mit allen möglichen Freizeitinteressen. Sehr anarchisch, sehr berlinisch. Und wie ebenso häufig in dieser erstaunlichen Stadt ist aus einer diffusen Zwischennutzung doch etwas Neues erwachsen: eine stadtplanerische Idee vom Grillen, Radeln, Surfen und Wohnen an einem Ort. Plötzlich ist aus einer Schwäche eine Stärke geworden, ein Entwurf für die Berliner Mischung des 21. Jahrhunderts.
Damit muss auf dem Feld noch längst nicht alles gut sein. Sicher kann man streiten, ob die geplante Bebauung am Tempelhofer Damm gelungen ist. Eigentlich wäre es besser, höher hinaus zu gehen. Gleiches gilt für den Südrand an der Autobahn. Na und? Kann ja noch kommen. Sicher mag mancher andere Vorstellungen für den Neubau einer Zentralbibliothek haben. Natürlich muss die Zukunft des Flughafengebäudes geklärt werden. Aber das Prinzip, die Innenfläche des Tempelhofer Feldes zu schützen und an den Rändern zu bauen, ist unbedingt richtig. Und genau darum geht es am Sonntag.
Denn was kann vernünftiger sein als Wohnungsbau? Wohnungen, von denen ein großer Teil bezahlbar sein soll und muss. Und diese Wohnungen gehören in die Innenstadt und nicht an die Peripherie. Berlins Innenstadt gehört allen – nicht nur denen, die schon da sind. (Elmar Schütze)
Was spricht gegen eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes? Zum Beispiel die Geheimniskrämerei, die die Stadtregierung um ihre Pläne betreibt, sagt Redakteurin Christine Dankbar. Von billigen Wohnungen, die Senat verspricht, steht im Gesetzentwurf des Abgeordnetenhauses kein Wort.
Ja – für den Blick in die Ferne
Ich werde am Sonntag für den Gesetzentwurf der Bürgerinitiative stimmen und, glauben Sie mir, ich bin selbst überrascht darüber. Ich habe nicht unterschrieben, als die Aktivisten für das Volksbegehren und anschließend für den Volksentscheid warben. Wie unvernünftig von ihnen, auf Stillstand zu beharren, wo Berlin so dringend günstige Wohnungen braucht, nicht wahr?
Genau das wiederholt Stadtentwicklungssenator Müller seit Wochen immer und immer wieder. Nur leider findet sich im Gesetzentwurf des Abgeordnetenhauses kein einziges Wort davon. Da heißt es lediglich, man strebe „eine behutsame Entwicklung für Wohnen, Wirtschaft sowie Erholung, Freizeit und Sport“ an. Kein Wort über Mieten oder auch nur den Grund, warum das Gebiet wofür entwickelt werden soll. Die Pläne gibt es natürlich: Der Masterplan des Senats sieht für den Rand des Feldes die übliche öde Berliner Blockrandbebauung vor; Gewerbe, die Zentrale Landesbibliothek und, ja, auch Wohnungen. Allerdings wird nur ein kleiner Teil davon für Mieten zwischen sechs und acht Euro pro Quadratmeter zu haben sein: Rund die Hälfte der 4 700 Wohnungen nach jetziger Planung. Das sind so viele Wohnungen, wie die landeseigenen Wohnungsbauunternehmen in den vergangenen zwei Jahren mal eben so verkauft haben. Warum wurde das genehmigt, wenn günstige Wohnungen doch so wichtig sind für Berlin? Wohnungspolitisch gesehen bringt die Bebauung des Tempelhofer Feldes zunächst also nicht mehr als einen Ausgleich für diese Verkäufe. Das Nein zum Vorschlag von SPD und CDU fällt also leicht.
Doch wirksam wird es erst in Kombination mit einem Ja für die Initiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“. Sollten nämlich am Sonntag beide Entwürfe durchfallen, gäbe es kein Gesetz, das die Randbebauung verbietet. Der Masterplan des Senats hätte Bestand. Schon wird hinter verschlossenen Türen weiter geplant. Städtebaulicher Wettbewerb? Keine Zeit. Transparenz? Wozu denn. Bürgerbeteiligung? Vielleicht später mal. So kann man sich das Vertrauen des bravsten Bürgers verscherzen.
Sollte dagegen die Initiative gewinnen, bliebe erst mal alles so, wie es ist. Für Jahrzehnte, jammern die Baubefürworter. Auch das ist unrichtig. Kein einfaches Gesetz hat per se eine festgelegte Haltbarkeit. Es stimmt auch nicht, dass am Feld kein Baum gepflanzt und keine Bank aufgestellt werden dürfte. Das lässt sich im Gesetzentwurf der Initiative nachlesen. Sanitäre Anlagen, Sportstätten, sogar Gastronomie – alles möglich. Das Feld bliebe eine Weile länger ein einzigartiger Ort, der etwas ermöglicht, was es in Berlin sonst nicht mehr gibt: den unverstellten Blick in die Ferne. Und den braucht die Stadt ebenso dringend wie neue Wohnungen. (Christine Dankbar)