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Verfehlte Klimaziele Verfehlte Klimaziele: Eigentlich müsste jedes zweite Kohlekraftwerk vom Netz

Von Steven Geyer 09.01.2018, 17:56
Bis 2030 sollen in Deutschland 55 Prozent weniger Klimakiller ausgestoßen werden als im Jahr 1990. (Symbolbild)
Bis 2030 sollen in Deutschland 55 Prozent weniger Klimakiller ausgestoßen werden als im Jahr 1990. (Symbolbild) dpa

Berlin - Es geht um Zahlen, Messwerte und wissenschaftliche Projektionen, und doch scheint eine nüchterne Betrachtung der ersten Sondierungsergebnisse von Union und SPD unmöglich. Jedenfalls, wenn es um die Klimapolitik geht.

So bricht eine Welle der Empörung über die möglichen Partner herein, seit bekannt wurde, dass eine neue große Koalition offenbar die deutschen Klimaschutzziele aufgeben würde, die das erste Kabinett von Angela Merkel 2007 erstellte. Damals wollte man den CO2-Ausstoß bis 2020 gegenüber 1990 um 40 Prozent senken. Die Marke ist nur noch zwei Jahre entfernt – und soll nicht mehr gelten.

Klimaziel ist nicht mehr zu erreichen

Nicht nur Grüne und Linke sprechen von „klimapolitischem Versagen“. Auch etliche Verbände widersprechen den Aussagen aus Verhandlungskreisen, das Ziel sei ohnehin nicht mehr zu erreichen.

Schon bisher habe die große Koalition das Potenzial der Öko-Stromquellen nicht genug ausgenutzt, sagt etwa der Geschäftsführer des Bundesbandes Erneuerbare Energie, Peter Röttgen. Nun werde auch im neuen Sondierungspapier die künftige Rolle von Solar, Wind & Co. zu gering angesetzt. Deutschland als Klima-Vorreiter? Das sei vorbei.

Auch die Umweltverbände WWF und Greenpeace verweisen auf ihre Energiekonzepte, laut denen das 40-Prozent-Ziel auch in  zwei Jahren noch zu schaffen wäre – theoretisch.

Atomkraftwerke werden nicht einfach abgestellt

Praktisch jedoch, das geben auch Klimaschützer zu, müssten dafür so viele Voraussetzungen so schnell geschaffen werden, dass die politischen und rechtlichen Hürden nicht mehr realistisch zu überwinden wären. So müssten deutlich  mehr alte Kohlekraftwerke abgeschaltet werden. Die Erfahrung aus dem Atomausstieg lehrt aber, dass das juristisch schwer ist. Konkret müsste der deutsche CO2-Ausstoß von gut 900 Millionen Tonnen jährlich – wo er seit 2014 stagniert – auf 750 Millionen Tonnen sinken.

Die Umweltverbände betonen, dass die bisherigen Merkel-Regierungen vor allem im Verkehrs- und Gebäudebereich zu langsam vorgegangen sei. In beiden Fällen sei ein langer Vorlauf nötig, um mittelfristig Emission zu vermeiden. Hinzu kommt, dass Wirtschaft und Bevölkerung stärker gewachsen seien als 2007 gedacht.

Hinarbeiten auf 2030

Entscheidend ist nun, für Politik wie für Experten, das Ziel, an dem die potenziellen Koalitionäre festhalten: Bis 2030 sollen in Deutschland 55 Prozent weniger Klimakiller ausgestoßen werden als im Jahr 1990. Dieses Ziel zu erreichen, ist sogar völkerrechtlich verbindend, weil sich die Bundesrepublik innerhalb  der EU im Pariser Klimaschutzabkommen dazu verpflichtet hat.

Doch falls etwa der Wirtschaftsflügel der Union nun  denkt, das 55-Prozent-Ziel bis 2030 erfordere zunächst weniger Anstrengungen zur CO2-Reduktion, ist das Experten zufolge ein Trugschluss. Vielmehr zeigen die Berechnungen der Denkfabrik Agora-Energiewende, dass dafür gerade wegen des bisherigen Rückstandes nun ebenso radikale Klimavorgaben nötig wären wie für die alten Einsparpläne bis 2020.

So müsste der Kohle- und Ölverbrauch bis dahin mindestens halbiert werden. Und durch die langsam anlaufende CO2-Reduktion im Verkehr und bei der Gebäudeheizung müssten sehr  schnell sehr viele alte Kohlekraftwerke  dichtmachen. Die rund zehn Gigawatt an Kraftwerksleistung, auf die die Jamaika-Sondierer schon nicht einigen konnten, würden jedenfalls nicht ausreichen. Vielmehr müsste etwa jedes zweite Kohlekraftwerk bis 2030 vom Netz. Das sei zwar angesichts hoher Stromüberschüsse, wachsender Öko-Energien und Einsparmöglichkeiten möglich, heißt es etwa vom Thinktank Greenpeace Energy. Es wäre aber politisch höchst umstritten.

Kohleausstieg soll mit Datum besiegelt werden

Immerhin bliebe etwas mehr Vorlauf, um die nötigen Gesetz dafür zu verabschieden, betonten die Experten. Allerdings müsste eine neue Regierung sofort damit loslegen, allen betroffenen Sektoren – Verkehr, Gebäude, Industrie, Stromversorgung, Agrar und so weiter – klare verbindliche Einsparvorgaben zu machen. Laut dem Sondierungspapier wollen sich das Union und SPD auch tatsächlich vornehmen: in einem Klimaschutzgesetz, das die Sozialdemokraten noch beim Start der vorherigen Groko nicht gegen CDU und CSU durchsetzen konnten. Sogar ein Datum für den endgültigen Kohleausstieg wolle man demnach nennen – allerdings erst Ende dieses Jahres.