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Tod von Ulrike Tod von Ulrike: Trauer steht auf dem Stundenplan

Von Günter Werz 09.03.2001, 19:13

Eberswalde-Finow/MZ. - An diesem Morgen ist alles anders. Die Nacht der schrecklichen Gewissheit hat das Leben der Menschen in Eberswalde-Finow verändert. Ulrike ist tot. Schulleiter Karsten Boldt von der Grundschule Finow an der Biesenthaler Straße sucht mühsam nach den richtigen Worten. "Ich bin genau so entsetzt wie alle hier. Für uns ist das wie ein tiefes, schwarzes Loch", presst er heraus. Tief erschüttert steht Boldt an der Tür, begrüßt einzeln die Jungen und Mädchen, die still und bedrückt eintreffen. An Unterricht ist an diesem Freitagmorgen in dem 20000-Einwohner-Ort Finow, knapp sieben Kilometer von Eberswalde entfernt, nicht zu denken. Man wolle in den Klassen "über den Fall" sprechen und in der Stille den Schülern die Möglichkeit zum Trauern geben. Draußen an den Bäumen hängen noch, vom Regen aufgeweicht, die Suchaushänge, die Ulrikes Eltern Kerstin und Detlef Brandt mit dem letzten Funken verzweifelter Hoffnung für ihr Nesthäkchen hatten drucken lassen. Sie zeigen eine fröhliche Zwölfjährige mit hellen, offenen Augen und einem strahlenden Blick. Wie eine stille Mahnung lassen viele Geschäfte in Finow und Eberswalde die weißen Plakate mit den Fotos weiter hängen. In der Klasse 6d, die Ulrike bis zum Tag ihres Verschwindens am 22. Februar besucht hatte, sind die Schulbänke leer. Nur vier Kinder sind zum Unterricht erschienen, bedrückt und wortkarg. Klassenleiterin Marlies Eilz kämpft mit den Tränen. Die meisten Klassenkameraden hätten einen Schock erlitten und seien zu Hause geblieben. Am nächsten Schultag, am Montag, werden sie Kerzen anzünden und ein Bild von Ulrike im Klassenraum aufstellen. Es ist ein Tag der Tränen in Finow. Viele Eltern haben ihre Kinder an diesem Morgen auf dem Schulweg begleitet, heute noch mehr als schon in den letzten Tagen. "Solange der Täter frei herumläuft, bringe ich meine Tochter selbst zur Schule", sagt eine Mutter. "Wir haben doch alle Angst hier." Ein knapp 40-jähriger Familienvater, der seine ebenfalls zwölfjährige Tochter zur Schule fährt und mittags auch wieder abholt, sagt: "Seitdem das hier passiert ist, habe ich jeden Tag drei Kinder in meinem Wagen." In der großen Pause bleibt der Schulhof leer. Alles ist anders als sonst. Superintendent Horst Ritter vom benachbarten Kirchenkreis Barnim spricht aus, was viele denken: "Wir hatten alle gehofft, dass Ulrike irgendwo festgehalten wird und zurückkommt." Bis zur letzten Minute hätten alle in der Kirche die Hoffnung nicht aufgegeben und Ulrike und ihre Eltern mit in die Fürbitte einbezogen. Doch nun stelle sich die Frage, warum Gott das zugelassen habe. "Darauf gibt es nur schwierige Antworten", sagt der evangelische Kirchenmann. Es ist kurz vor zehn am Vormittag. "Der Schmerz der Eltern muss unvorstellbar sein", formuliert Bürgermeister Reinhard Schulz seine Betroffenheit. In Eberswalde-Finow lässt Ulrikes Tod kaum jemanden unberührt. "Uns standen die Tränen in den Augen, als wir im Radio die Nachricht hörten", sagt Nancy Rohrbach aus dem Friseurladen. Anneliese Augustin, die gerade vom Einkaufen heimkehrt, findet kaum Worte für das Geschehen: "Ich bin unendlich traurig." Die Fernsehbilder von der grell erleuchteten Fundstelle, 400 Meter neben dem früheren Militärflughafen Werneuchen, haben sich den Menschen hier ins Herz gebrannt.