Synagoge in Sachsen Synagoge in Sachsen: Juden finden in Chemnitz ein zweites Zuhause

Chemnitz/ddp. - Inna Louchanskaja kümmert sich in derJüdischen Gemeinde Chemnitz um Alte und Kranke, organisiertmedizinische Vorträge und Kulturveranstaltungen. Und sie schwärmt vonder Synagoge: «Es ist mein zweites Zuhause. Wir haben viele Zimmer,können viele Leute einladen und die Arbeit gut organisieren.»
Die ehemalige Ärztin aus Tscheljabinsk in der einstigenSowjetunion kennt noch die behelfsmäßige Chemnitzer Betstube, die sienur selten besucht hat. Das Provisorium war eng und für vieleschlecht erreichbar, auch für die ehrenamtliche Gemeindearbeit gab eskeine Räume. Jetzt ist die Neu-Chemnitzerin zufrieden. Seit der Weiheder Synagoge nebst Gemeindezentrum vor fünf Jahren spielt sich nichtnur das religiöse Leben der Chemnitzer Juden dort ab. Sie kommen zumLernen, Singen, Theater spielen, Sport treiben, zur Sozialberatungoder einfach, um Freunde zu treffen.
In der Eingangshalle heißt ein unübersehbares Spruchband mit derAufschrift «Dobro poschalowat» in kyrillischer Schrift die Besucherwillkommen. Die meisten hier sprechen untereinander russisch, alleAushänge sind zweisprachig abgefasst. Die Staatssprache des einstigenVielvölkerstaates Sowjetunion ist die Klammer für jüdische Russen,Ukrainer, Esten, Litauer, die sich in einer neuen Heimatzurechtfinden und sich ihren lange unterdrückten Glauben ersterschließen müssen.
Religionslehrerin Ruth Röcher braucht Geduld undFingerspitzengefühl und immer einen Übersetzer für ihre Arbeit. ImTora-Unterricht sind die kyrillischen Bibeln zuerst vergriffen, einehebräische benutzt nur sie. Röcher hat 2006 das Amt derGemeindevorsitzenden übernommen. Ihr Vorgänger Siegmund Rotsteinhatte sich jahrzehntelang für die Wiedererrichtung einer Synagoge imeinstigen Karl-Marx-Stadt eingesetzt.
Als die Chemnitzer Gemeinde zur Wende nur noch ein DutzendMitglieder zählte, schien dieses Vorhaben sinn- und aussichtslos.Doch der 1990 einsetzende Zuzug von Juden aus Osteuropa in den OstenDeutschlands veränderte die Situation. Von den heute mehr als 2600gläubigen Juden in Sachsen leben rund 640 in Chemnitz.
Am 24. Mai 2002 erhielt die Stadt nach Dresden die zweite neugebaute Synagoge in Ostdeutschland. Mit Reinigungsbad, Laubhütte,koscherer Küche, Bibliothek, Jugend- und Seniorenräumen verfügt dasmoderne Zentrum über alles, was die Pflege jüdischer Bräucheverlangt.
«Das Haus ist da, es herrscht Leben, was kann es Besseres geben»,freut sich Röcher. Deutschkurse, Tanzgruppe, Chor, Vorträge undKonzerte seien gut besucht. Zu den Gottesdiensten kämen indes nichtso viele, am Schabbat 30 bis 50, am Vorabend noch weniger. «Wirdürfen nicht vergessen, woher die Menschen kommen. Sie hatten frühernull Religionsbezug», erklärt die Gemeindevorsteherin dasvergleichsweise geringe Interesse.
Über die religiöse Bedeutung hinaus leiste das Gemeindezentrum vonder Jugend- bis zur Seniorenarbeit einen wertvollen Beitrag vor allembei der Integration von Einwanderern, hebt OberbürgermeisterinBarbara Ludwig (SPD) hervor. Bis 1933 seien Juden maßgeblich an derwirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung der Stadt beteiligtgewesen. «Heute ist die jüdische Gemeinde wieder Teil des städtischenLebens und darüber sind wir sehr froh», sagt Ludwig.
Ein Anfang ist gemacht beispielsweise mit Tagen der offenen Tür,Konzerten und dem monatlichen «Erzählcafé». Auch im jüdischenSportverein «Makkabi» betätigen sich Juden und Nichtjuden, meistSpätaussiedler. «Aber das ist noch nicht die Öffnung, die ich mirwünsche», sagt Röcher. Für den 81-jährigen Rotstein hat sich indessein Lebenstraum erfüllt. Jüdisches Leben in Chemnitz zu erhalten,hatte sich der Holocaust-Überlebende nach seiner Rückkehr ausTheresienstadt zur Verpflichtung gegenüber 2000 ermordeten ChemnitzerJuden gemacht.