Sunniten und Schiiten Sunniten und Schiiten: Tief gespalten und einig im Protest

Kairo/dpa. - Denn für viele Religionsgelehrte in der arabischen Welt war dieKontroverse um die Mohammed-Karikaturen aus Dänemark ein Geschenk des Himmels. Sie hoffen, dass dieser Streit, in dem sich gläubige Muslimealler Konfessionen Seite an Seite über die fehlenden Tabus desWestens ereifern, ihren Glauben festigen und die islamische Nation(«Umma») zusammenschweißen wird.
Denn genauso wie es im Christentum theologische undweltanschauliche Differenzen zwischen Katholiken und Protestantengibt, so teilt sich auch die islamische Welt in sunnitische undschiitische Muslime, wobei es auch innerhalb dieser beiden großenGruppen verschiedene Sekten gibt.
Ursprung der Spaltung («fitna») der Muslime war eineAuseinandersetzung um die Nachfolge des Propheten Mohammed, in derdie Schiiten dem vierten Kalifen Ali die Treue hielten. Der Begriff«Schiiten» leitet sich von «Schiat Ali» (die Partei Alis) ab.
Die bildliche Darstellung Gottes oder des Propheten Mohammed istfür Sunniten wie auch für Schiiten ein Tabu. Die Schiiten finden esjedoch völlig normal, als Ausdruck ihres Glaubens in ihren Häusernoder auch Autos Bilder des Kalifen Ali oder seines Sohnes Husseinaufzuhängen. Ali war ein Cousin und Schwiegersohn Mohammeds.
Die fünf so genannten Grundpfeiler des Islam sind für Sunniten undSchiiten gleich: Das Glaubensbekenntnis, das Gebet, das Fasten imMonat Ramadan, die Almosen und die Pilgerfahrt nach Mekka («Hadsch»).Gebetet wird zu bestimmten Uhrzeiten, fünf Mal täglich, wobei dieSchiiten oft kein Problem darin sehen, die Gebete - zum Beispiel, umdie Arbeit nicht zu unterbrechen - so zusammen zu legen, dass siesich nur drei Mal am Tag gen Mekka verneigen.
Anders als die Sunniten, die nur die Pilgerfahrt nach Mekkaanerkennen, besuchen die Schiiten zusätzlich auch die GrabstättenAlis und Husseins in den irakischen Städten Nadschaf und Kerbelasowie andere Heiligtümer wie zum Beispiel Sajjida Zeinab in Damaskus.Schiiten im Irak sorgen nach Möglichkeit dafür, dass ihre Angehörigenin Nadschaf beerdigt werden, in der Nähe von Alis Schrein. Zu denzentralen Glaubensgrundsätzen gehört für die Schiiten das«Märtyrertum», was die Führung im Teheran für ihre Propaganda imKrieg gegen den Irak (1980-1988) ausnutzte.
Die Schiiten stellen im Iran die Bevölkerungsmehrheit. DieReligion prägt seit der islamischen Revolution unter AyatollahChomeini 1979 das gesellschaftliche Leben, die Rechtsprechung und diestaatlichen Organe. In den arabischen Ländern sind die Schiitendagegen - mit Ausnahme Bahrains und des Irak - in der Minderheit. Dasie in der Geschichte oft verfolgt wurden, kennen die Schiiten dasKonzept der «Takija», das es ihnen erlaubt, ihren wahren Glauben inder Öffentlichkeit zu verleugnen. In Libanon genießt die schiitischeHisbollah, deren Angriffe zum Abzug der israelischen Armee aus demSüden des Landes beigetragen hatten, aus politischen Gründen zum Teilauch bei Sunniten und Christen Respekt.
Ein weiterer Unterschied zwischen Schiiten und Sunniten ist dieRolle des Klerus. Denn während die Schiiten eine klare Hierarchie derGeistlichen kennen, an deren Spitze der Großajatollah steht, sokennen die Sunniten dies nicht. Zwar hat das Al-Azhar Islam-Institutin Kairo auch außerhalb Ägyptens Einfluss auf die sunnitischenMuslime. Oft wissen die Gläubigen jedoch nicht, wessen «Fatwa»(islamisches Rechtsgutachten) sie nun anerkennen sollen.
Der Sturz des Regimes von Saddam Hussein im Irak im April 2003 hatdie politische Landkarte der Region, auch was die Machtverteilungzwischen Sunniten und Schiiten betrifft, nachhaltig beeinflusst. Denndadurch dass, wenn auch unter ausländischer Besatzung, erstmals freieWahlen stattfanden, fiel den Schiiten nun am Tigris erstmals einGroßteil der Macht zu. Diese Entwicklung nahmen auch Schiiten imsunnitisch dominierten Islamischen Königreich Saudi-Arabien zumAnlass, um Gleichberechtigung und mehr Mitbestimmung zu fordern.
In den arabischen Öl-Monarchien spielt der sunnitische Islam zwarüberall eine tragende Rolle. Jedoch ist auch dort niemand so strengund puritanisch in der Auslegung der Religion wie die Saudis. Diesgeht auf einen Pakt zwischen Mohammed Ibn Saud und und dem TheologenMohammed Ibn Abdul Wahab (1703-1792) zurück. Ibn Abdul Wahab predigtedie Rückkehr zu den Wurzeln des Islam. Einige Praktiken der Schiitenund der sufischen Mystiker bezeichnete er als Abweichung vom Glauben.
Als der Stamm von Ibn Saud die Haschemiten-Dynastie, die heute inJordanien herrscht, von der arabischen Halbinsel vertrieb, wurde derWahabismus Staatsreligion des Königreichs Saudi-Arabien. Das heißt:Es herrscht eine strikte Trennung der Geschlechter. Frauen müssensich verhüllen. Mörder werden enthauptet. Dieben werden Gliedmaßenamputiert und viele Vergehen werden mit Peitschenhieben geahndet.Viele westliche Experten sehen im Wahabismus den geistigen Nährboden,auf dem El Kaida und andere Terrororganisationen gewachsen sind. Dassaudiarabische Herrscherhaus, das sich an die Spitze der Kampagnegegen die Mohammed-Karikaturen gestellt hat, bestreitet dies.
