Studie Studie: Menschen in AfD-Hochburgen fühlen sich von der Politik alleingelassen
Berlin - Viele Menschen in strukturschwachen Regionen mit einem hohen Anteil rechtspopulistischer Wähler fühlen sich von der Politik alleingelassen. Das ist die Erkenntnis einer Studie der Berliner Denkfabrik Das Progressive Zentrum, die am Donnerstag in der Hauptstadt vorgestellt wurde.
Für die Untersuchung wurden 500 Haustürgespräche in Regionen in Deutschland und Frankreich geführt, in denen die AfD und die rechtsextreme französische Partei Front National bei zurückliegenden Wahlen besonders gut abgeschnitten hatten. In Deutschland wurden die Menschen wenige Wochen vor der Bundestagswahl im vergangenen September in sechs Wahlbezirken und -kreisen befragt. Einer davon ist etwa Duisburg-Neumühl, wo die AfD später mit fast 30 Prozent der Stimmen stärkste Kraft wurde, ein zweiter Berlin Marzahn-Hellersdorf – dort gewann die Partei 21,6 Prozent der Stimmen.
Diskrepanz zwischen Problemen des Landes und privaten Problemen
Der Untersuchung zufolge gibt es eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem, was die Menschen in Deutschland als größtes Problem des Landes wahrnehmen – Migration – , und den größten Problemen des eigenen Alltags. Islamisierung, Europaskepsis, pauschale Medienkritik oder die Betonung der nationalen Identität spielten im Privaten kaum eine Rolle, sagte der Studienautor, Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje. „Zentrale Narrative der Populisten verfangen sich in ihren Hochburgen weitaus weniger stark als meist angenommen“, so Hillje.
Hillje zufolge ist die Abwertung anderer, insbesondere von Migranten, „eine Folge einer eigenen Abwertungserfahrung". Eine den Menschen innewohnende Fremdenfeindlichkeit habe sich in den Gesprächen nicht als Muster gezeigt. Hingegen hatten die Befragten den Eindruck, dass etwa Maßnahmen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise nicht grundsätzlich falsch sind, seitens der Politik aber entsprechende „Anstrengungen und Investitionen vor Ort ausbleiben, um handfesten Herausforderungen im Alltag“ zu begegnen. Zu diesen gehören steigender ökonomischer Druck durch unsichere Arbeitsbedingungen und der Wegfall von Sozial- und Verkehrsinfrastruktur.
Gefühl des Verlassenseins
„Viele Befragte glauben, dass sozial und geographisch Gesellschaftsräume entstanden sind, aus denen sich die Politik zurückgezogen hat", heißt es in der Studie: „Es herrscht ein Gefühl des Verlassenseins.“ Ein Befragter sagte, keine Partei löse die Probleme, „weil sie alle nur die Lobbyisten bedienen – sie dienen nicht dem Bürger“. Gerade die jungen Befragten würden kaum noch Hoffnung in die Politik stecken, so Hillje.
In den Räumen der „politischen Verlassenheit“ sei das Vertrauen der Menschen neu zu verdienen, schlussfolgert die Studie, „mit lokaler Präsenz sowie Anerkennung und Lösung der vorliegenden Probleme“. „Innere Solidarität“, sagt Hillje, „sei die Voraussetzung für äußere Solidarität.“ Ohne Abstiegsängste in der Bevölkerung ließe sich leichter anderen helfen, so die Erkenntnis.
Die Studie schlägt weitere Handlungsfelder vor, in denen die Politik aktiv werden müsste, damit ihr wieder verstärkt vertraut wird. Dazu gehört etwa Selbstbewusstsein gegenüber populistischen Narrativen. Der Wiederaufbau von Infrastruktur könnte indes dabei helfen, Chancengleichheit zu fördern. „Wenn der Bus nicht mehr ins Stadtzentrum fährt, kann ich Bildungs-, Kultur- und Sportangebote nicht mehr wahrnehmen“, sagte Hillje. Die Menschen würden so auch in ihrer persönlichen Entwicklung eingeschränkt.
„Digitalisierung sorgt für Zukunftssorgen“
Parteien sollten zudem wieder verstärkt auf lokale Präsenz setzen. „Mein Eindruck ist, dass sich die Volksparteien aus den lokalen Räumen zurückgezogen haben. Man sollte wieder stärker darüber nachdenken, die lokalen Strukturen aufzubauen“, sagte Hillje, und schlägt politische Coworking-Spaces vor, in denen Bürger in die Lösung von Problemen einbezogen werden könnten.
Zudem plädiert die Studie dafür, den Strukturwandel, der insbesondere durch die Digitalisierung hervorgerufen wird, gesellschaftsverträglich zu gestalten. „Digitalisierung sorgt für Zukunftssorgen“, sagte Hillje. Bei großen Teilen der Bevölkerung kommt demnach nicht an, dass sich die Politik damit auseinandersetzt, dass Menschen ihre Arbeitsplätze an Maschinen verlieren werden. Solche Diskussionen müssten prominenter und inklusiver an die Bevölkerung herangetragen werden.