Großbritannien Streit um Abschiebepolitik: Sunak übersteht Revolte vorerst
Großbritanniens Premierminister Rishi Sunak übersteht einen Showdown im Parlament. Obwohl sein Abschiebegesetz dem rechten Parteiflügel nicht weit genug geht, stimmen ausreichend Abgeordnete dafür.
London - Für den britischen Premierminister Rishi Sunak dürften es zähe Stunden gewesen sein, aus denen er trotz gewonnener Abstimmung angeschlagen herausgeht. Im Streit um die Asylpolitik seines Landes setzte er sich gegen parteiinterne Widerstände durch.
Ein neues Gesetz, mit dem Abschiebungen ins ostafrikanische Ruanda durchgesetzt werden sollen, erhielt am Mittwochabend im Unterhaus des Parlaments die nötigen Stimmen. Damit hat es eine weitere Hürde im Gesetzgebungsprozess genommen. Doch für Sunak bedeutet der Richtungsstreit in der Konservativen Partei einen schwierigen Start ins Wahljahr.
Parteiinterner Kampf bricht offen aus
Mehrere Abgeordnete des rechten Parteiflügels hatten gedroht, gegen ihre Regierung zu stimmen, weil ihnen das Gesetz nicht weit genug ging, dabei wird das Vorhaben schon jetzt zum Beispiel vom UN-Flüchtlingshilfswerk kritisiert. Am Ende stimmten elf von Sunaks Parteikollegen gegen die Vorlage, wie die Nachrichtenagentur PA meldete. Insgesamt votierten 320 Abgeordnete dafür und 276 dagegen.
Die britische Politik streitet über das Thema seit Langem. Am Dienstagabend hatten Dutzende Tories im Unterhaus für zwei Änderungsanträge gestimmt, die das Asylgesetz verschärfen sollten. „Das ist ein schwerer Angriff auf die Autorität eines jeden Premierministers“, kommentierte BBC-Reporter Chris Mason.
Im Kern geht es um das Vorhaben der konservativen Regierung, irregulär eingereiste Migranten ohne Prüfung ihres Asylantrags und ungeachtet ihrer Herkunft nach Ruanda zu schicken. Sie sollen in dem ostafrikanischen Staat, dem Kritiker Menschenrechtsverletzungen vorwerfen, um Asyl bitten. Eine Rückkehr nach Großbritannien ist ihnen verboten. Dazu soll Ruanda qua Gesetz zum sicheren Drittland erklärt werden. Eine weitere richterliche Überprüfung unter Berufung auf Menschenrechte in Großbritannien soll ausgeschlossen werden.
Manche wollen mit Menschenrechtskonvention brechen
Doch rechten Tories geht das nicht weit genug. Sie fordern, auch Einsprüche vor internationalen Gerichten müssten verhindert werden - es dürfe keine Schlupflöcher geben. Robert Jenrick, früherer Migrations-Staatssekretär und einst Vertrauter von Sunak, forderte sogar den Ausstieg aus der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Das Innenministerium will Beamte nun anweisen, dass sie - sollte das Gericht in Straßburg Einspruch gegen Abschiebeflüge erheben - die Regierung konsultieren müssen - die soll dann entscheiden, ob sie sich über mögliche Einsprüche hinwegsetzt. Eine Gewerkschaft kritisierte das scharf: Beamte würden vor eine unmögliche Wahl gestellt - entweder mit internationalem Recht zu brechen, sich der Regierung zu widersetzen oder gar ihren Posten aufzugeben.
Thema Migration dominiert politische Debatte
Längst ist Migration zu einem der wichtigsten Themen im aufkommenden Wahlkampf geworden. Die Briten müssen spätestens im Januar 2025 ein neues Parlament wählen. Ein Termin steht noch nicht fest, gerechnet wird mit Herbst. Die Tories wollen mit betont hartem Vorgehen den gewaltigen Rückstand in Umfragen auf die sozialdemokratische Labour-Partei aufholen. In Großbritannien kommen deutlich weniger irreguläre Migranten als in der EU an.
Gegner des Vorhabens wie das UN-Flüchtlingshilfswerk sind empört. Die Pläne verstießen gegen Verpflichtungen zum Schutz von Flüchtlingen. Dass die Regierung sich per Gesetz über Gerichte stellen will, verstoße auch gegen die Gewaltenteilung. Das oberste britische Gericht hatte die Pläne der Regierung unter anderem mit Verweis auf die Lage in Ruanda für unzulässig erklärt.
Ansage soll Menschen abschrecken
Die Regierung hat bereits Hunderte Millionen Pfund an Ruanda gezahlt, ohne dass dort ein Mensch angekommen ist. Das Vorhaben soll vor allem der Abschreckung dienen. Noch ist fraglich, ob es am Ende wirklich so kommt. Der Pakt wurde einst vom damaligen Premier Boris Johnson erdacht - nach Ansicht von Kritikern, um vom „Partygate“-Skandal abzulenken.
Im nächsten Schritt geht das Gesetz nun ins britische Oberhaus, das ist die zweite Kammer im Gesetzgebungsverfahren. Sunak verteidigt das Vorhaben. Es sei Wunsch der Wähler, das Problem ein für alle Mal zu lösen. Für ihn ist das Abkommen mit dem autoritären Präsidenten von Ruanda, Paul Kagame, ein zentraler Baustein seines Versprechens, die Zahl der Migranten zu senken. Sunaks Sprecher bestätigte, dass bis Frühling erste Abschiebeflüge abheben sollen. Um Verfahren zu beschleunigen, sollen eigens Richter abgestellt werden - ob das möglich ist, zweifeln Richterverbände an.
Dass bereits am Dienstagabend die Vize-Parteigeschäftsführer Lee Anderson und Brendan Clarke-Smith aus Protest zurückgetreten waren, bedeutete einen weiteren Rückschlag. Die beiden machten deutlich, dass sie nicht an einen Erfolg des Ruanda-Entwurfs in der aktuellen Form glauben. Vor allem Anderson, der eine Talkshow im rechten Sender GB News hat, galt wegen seiner unverblümten Art als wichtiger Wahlkämpfer. Nun sprechen Analysten von einem „Bürgerkrieg“ in der Tory-Partei. Dabei hatte erst kürzlich der eigens engagierte Wahlkampfstratege Isaac Levido die Fraktion zur Einigkeit aufgefordert. „Gespaltene Parteien“, sagte Levido, „scheitern“.