Sterbehilfe-Debatte im Bundestag Sterbehilfe-Debatte im Bundestag: Bundestag bevorzugt bei der Sterbehilfe den "Weg der Mitte"
Berlin - Es ist eine zugegebenermaßen etwas abgedroschene Formulierung, nach der Bundestagsdebatten über ethische Fragen ohne Fraktionszwang zu den Sternenstunden des Parlamentes gehören. Die erste Beratung der vier Gesetzentwürfe zur Sterbehilfe am Donnerstag bewies allerdings erneut die Richtigkeit dieser Beschreibung: Keine Scheingefechte, keine Polemik, keine künstlichen Aufgeregtheiten. Stattdessen eine ernsthafte, nachdenkliche und zum Teil sehr emotional geführte Debatte. Viele Redner wurden persönlich und berichteten über eigene Erfahrungen mit dem Tod nahe stehender Menschen. Es sei sicherlich eines der anspruchsvollsten und zugleich schwierigsten Gesetzesvorhaben in der laufenden Wahlperiode, sagte Bundestagspräsident Norbert Lammert zu Beginn der mehr als zweistündigen Beratung.
Kaum Einigkeit, aber Mehrheit für „Weg der Mitte“
Einigkeit herrschte nur in zwei Punkten: Es geht auch am Ende des Lebens um die Würde des Menschen. Deshalb muss die Palliativversorgung in Deutschland flächendeckend verbessert und ausgebaut werden, um Leid zu lindern. Außerdem darf es niemanden geben, der mit dem Selbstmord Geld verdient. Wie letzteres allerdings am besten erreicht werden kann, darüber gibt es erhebliche Meinungsverschiedenheiten quer durch alle Parteien.
Mehrheiten zeichnen sich jedoch schon jetzt ab: Bereits 210 Abgeordnete haben den Gesetzentwurf unterschrieben, den die Unterstützer selbst geschickt als „Weg der Mitte“ bezeichnen. Mit ihm soll die „geschäftsmäßige“ Förderung der Sterbehilfe sowohl durch kommerzielle Organisationen als auch durch Vereine ohne Profitziel verboten werden. Da die Redezeit nicht wie sonst üblich nach Fraktionsstärke, sondern nach der Zahl der bisherigen Unterstützer vergeben wurde, konnten am Donnerstag zu diesem Gesetzentwurf die meisten Parlamentarier sprechen.
„Keine Hilfe zum Sterben, sondern Hilfe beim Sterben“
„Sterbende sollen an der Hand und nicht durch die Hand eines Mitmenschen sterben“, sagte Michael Brand (CDU), einer der Unterstützer des Antrags. Dieser sei deshalb ein Weg der Mitte, weil er weder ein Totalverbot der Suizidbeihilfe vorsehe, noch den Ärzten besondere Rechte dabei einräumen wolle. „Die Beihilfe zum Suizid darf keine reguläre Option ärztlichen Handelns sein“, sagte er. Mache man die Tür bei der Sterbehilfe nur einen Spaltbreit auf, könne sie nicht mehr geschlossen werden. Das sei die Erfahrung aus Belgien und den Niederlanden. Auch dort habe es zunächst enge Kriterien gegeben, die aber dann schrittweise ausgedehnt worden seien. „Bei der Sterbehilfe schafft das Angebot die Nachfrage“, sagte er. „Wir wollen keine Hilfe zum Sterben, wir wollen Hilfe beim Sterben“, so die SPD-Abgeordnete Kerstin Griese.
Die Gegenrede kam von Bundestags-Vizepräsident Peter Hintze (CDU). Er unterstützt den Antrag, der auf jegliche Eingriffe ins Strafrecht verzichtet und den Ärzten ausdrücklich die Beihilfe erlaubt, die derzeit nach dem Standesrecht in der Mehrheit der Bundesländer verboten ist. „Nicht Staatsanwälte gehören ans Krankenbett, sondern die lieben Angehörigen“, sagte er. Umfragen zeigten, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung eine legale Form der Sterbehilfe wünsche. „Der Bundestag sollte der Anwalt der Bürger sein“, argumentierte Hintze. Durch die Eingriffe ins Strafrecht würden Ärzte kriminalisiert und das Vertrauensverhältnis zum Patienten zerstört.
„Leiden ist immer sinnlos“
Hintze wies darauf hin, dass die Palliativmedizin in bestimmten Fällen an Grenzen stoße. In diesen Fällen müsse es Ärzten erlaubt sein, zu helfen. „Leiden ist immer sinnlos“, so Hintze. Drohe man mit dem Schwert des Strafrechtes, dann gebe es gewissermaßen eine „Rechtspflicht zum Ertragen von Leiden“, sagte die CDU-Politikerin Katherina Reiche. Es gebe Fälle, wo Menschen nicht mehr wollten und nicht mehr könnten. Hier habe der Staat Abstand zu halten. „Wir geben die klare Botschaft: Niemand muss ins Ausland fahren, niemand muss sich an medizinische Laien oder selbsternannte Sterbehelfer wenden“, betonte Carola Reimann (SPD).
Renate Künast (Grüne), die zusammen mit anderen Abgeordneten Sterbehilfevereine ohne Gewinnabsicht ausdrücklich erlauben und deren Arbeit regulieren will, mahnte, der Bundestag dürfe seine Kompetenz nicht überschreiten. „Wenn wir zu viel regeln, wenn wir zu viel einschränken, nehmen wir den Menschen das Selbstbestimmungsrecht am Ende des Lebens“, sagte sie. Die Beihilfe zum Suizid sei seit 1871 aus gutem Grund strafffrei. „Die Tür ist auf, wir dürfen sie nicht zumachen.“ Petra Sitte (Linke) zitierte den Schriftsteller Wolfgang Herrndorf, der schwerkrank Selbstmord begangen hat: „Ich wollte ja nicht sterben. Aber die Gewissheit, es selbst in der Hand zu haben, war von Anfang an notwendiger Bestandteil meiner Psychohygiene. Ich muss wissen, dass ich Herr im eigenen Haus bin.“
Den rigidesten Antrag, der ein generelles Verbot der Suizidbeihilfe vorsieht, begründete der Initiator Patrick Sensburg (CDU). Er verwies auf eine Reihe von Ländern, darunter Österreich und Italien, wo es ein derartiges Verbot besteht. Eine Umfrage habe zudem ergeben, dass 93 Prozent der Deutschen schon heute davon ausgingen, dass die Beihilfe verboten sei. Dies entspreche also offensichtlich ihrem Rechts- und Wertegefühl. „Es ist keine humanitäre Tat, einem Menschen zu helfen, sich umzubringen. Es ist eine humanitäre Tat, ihm in einer schweren Lebenslage beiseite zu stehen.“ Der Gesetzentwurf von Sensburg und wenigen anderen Abgeordneten ist allerdings völlig chancenlos. Und so erntete er breitere Zustimmung nur bei einer Feststellung: „Jede Gruppe hat es sich nicht leicht gemacht und bei der Formulierung der Anträge nach bestem Gewissen gehandelt.“