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Spanien Spanien: «Barcelona ist Europas Hauptstadt der Hausbesetzer»

Von Hubert Kahl 20.12.2006, 09:12

Barcelona/Madrid/dpa. - «Die Bewegung der Hausbesetzer repräsentiert eine alternative Lebensweise.» Mit diesen freundlichenWorten über die Besetzung leer stehender Wohnungen löste diespanischen Wohnungsbauministerin María Antonia Trujillo unter ihrenLandsleuten allgemeine Verblüffung aus. Dabei hätte die Ressortchefinallen Grund gehabt, auf die - so verständnisvoll betrachtete -Bewegung ernsthaft böse zu sein.

Die Szene der Hausbesetzer hatte ihr indirekt einen großenAuftritt auf internationaler Bühne verdorben. Vor zwei Monaten hattesie mit ihren Amtskollegen aus den anderen EU-Staaten einen «Gipfelüber das Wohnen» in Barcelona abhalten wollen. Weil die Polizeijedoch Randale von Hausbesetzern fürchtete, wurde das Treffenzunächst verschoben und kürzlich ganz abgesagt. Was für dieMinisterin ein Fiasko bedeutete, war für die «Okupas» (Besetzer) einTriumph.

«Barcelona ist zusammen mit Amsterdam und Mailand EuropasHauptstadt der Hausbesetzer», schrieb die Zeitung «El País». Die Zahlder besetzten Häuser wird in der katalanischen Metropole immergrößer, obwohl es allein in diesem Jahr 150 Räumungen gab. «Für jedesgeräumte Haus wird ein neues besetzt», heißt die Devise. Wie vielebesetzte Gebäude es in der zweitgrößten Stadt Spaniens gibt, weißniemand genau. Die Schätzungen reichen von 200 bis 350. Die Besetzersind so gut organisiert, dass sie nicht nur ein Vermittlungsbürobetreiben, sondern auch ein Handbuch für Hausbesetzungenherausgegeben haben.

Der Bewegung gehören zum einem junge Leute aus der linken Szenewie Globalisierungskritiker oder Autonome an, zum andern Studenten,Arbeitslose, Straßenkünstler und Immigranten, die sich keine Wohnungleisten können, politisch aber nicht weiter aktiv sind. Die «Okupas»kommen aus Ländern in aller Welt. Als die Polizei kürzlich dieehemalige Fabrikanlage «Can Ricart» räumte und die Personalien der 39Besetzer aufnahm, hatten die Beamten es mit Leuten aus neun Staatenzu tun - von Brasilien bis Israel. «Die Szene ist so internationalwie die UN-Vollversammlung», meinte die Zeitung «El Periódico».

Die Hausbesetzungen sind eine Kehrseite des spanischen Immobilien-und Baubooms. Zwar wurden in Spanien im vergangenen Jahr mehrWohnungen gebaut als in Deutschland, Frankreich und Großbritannienzusammen. Aber die Spekulation treibt ständig neue Blüten. Einerseitswerden die Mieten und Wohnungspreise vor allem für junge Leute immerunerschwinglicher. Andererseits stehen in Barcelona Zehntausende vonWohnungen leer; die Schätzungen reichen von 20 000 bis 80 000. «DieVerteuerung hat auch damit zu tun, dass die Stadt in ein riesigesSchaufenster für Touristen verwandelt wird», meint der Anwalt AntoniLuchetti. An manchen Hauswänden stehen Graffiti wie: «Touristen, ihrseid die Terroristen.»

In Barcelona hat sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt sozugespitzt, dass die Hausbesetzer sogar bei den Vereinten NationenVerständnis fanden. Der UN-Sonderbeauftragte für angemessenenWohnraum, Miloon Kothari, stattete einer Gruppe von «Okupas» einenBesuch ab und erklärte: «Überall gibt es Spekulation, aber in Spanienhat sie den Markt unter ihre Kontrolle gebracht. Die Folge ist, dasssich 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung keine menschenwürdigeWohnungen leisten können.»

Für die Räumung besetzter Häuser in Barcelona ist seit kurzemparadoxerweise ein Politiker verantwortlich, der selbst Sympathienfür die Besetzer empfindet. Joan Saura, der neue Innenminister derRegion Katalonien, ist der Parteichef der Ökosozialisten (ICV). Erhatte sich früher als Abgeordneter im Madrider Parlament für eine«Legalisierung» von Hausbesetzungen eingesetzt.