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Soziales Soziales: DDR-Heimkinder ringen um Entschädigung

Von Sybille Gurack und Ulrike von Leszczynski 23.01.2012, 06:33
Norda Krauel zeigt eine Zeichnung von Brigk Münchehofe, der als Kind auch im Durchgangsheim in Bad Freienwalde war, aufgenommen am 18.01.2012. (FOTO: PATRICK PLEUL DPA)
Norda Krauel zeigt eine Zeichnung von Brigk Münchehofe, der als Kind auch im Durchgangsheim in Bad Freienwalde war, aufgenommen am 18.01.2012. (FOTO: PATRICK PLEUL DPA) dpa-Zentralbild

Berlin/dpa. - Sie waren allein im Dunklen eingesperrt, bekamenPrügel oder durften nicht miteinander sprechen. Es gab drakonischeStrafen und den Zwang zur Akkordarbeit. Was Jungen und Mädchen inDDR-Heimen und Jugendwerkhöfen erlebten, hat viele von ihnen für ihrLeben gezeichnet. Nun ist eine Entschädigungsregelung in Arbeit, diesich am neuen Fonds für ehemalige Heimkinder aus Westdeutschlandorientieren soll. 40 Millionen Euro sind dafür vorgesehen. Doch eineWest-Kopie mit Verzichtserklärung und reinen Sachleistungen wollenviele ostdeutsche Betroffene nicht. Sie fordern eine andere Form derEntschädigung - zum Beispiel Monatsrenten in Höhe von 300 Euro.

Rund 120 000 Kinder und Jugendliche haben nach Schätzungen in derDDR in Heimen gelebt. Nicht alle haben Demütigungen erfahren. Vieleaber berichten von körperlichen und seelischen Qualen, die sie bisheute verfolgen. Norda Krauel aus Brandenburg wurde von ihrem Onkelsexuell missbraucht und lief von zu Hause weg. Mit 16 kam sie in einHeim. Das warf einen Schatten über ihr ganzes Leben. «Die Schlampeaus dem Jugendwerkhof ist da!» - so wurde sie mit 18 Jahren in einemvolkseigenen Betrieb in Halle vorgestellt. Der Stempel vomJugendwerkhof im Sozialversicherungsausweis habe wie ein Stoppschildfür jede weitere Lebensplanung gewirkt, sagt sie heute.

Robby Basler, Mitglied der Selbsthilfeorganisation ehemaligerHeimkinder (DEMO) in Brandenburg, verweigerte als Teenager denStaatsbürgerkundeunterricht in der Schule. Als Strafe kam er für zweiJahre in einen Jugendwerkhof. Heute klagt er beim EuropäischenGerichtshof gegen seine Peiniger.

Krauel und Baseler wenden sich entschieden gegen einen Fonds wieim Westen, der Sachleistungen wie Therapien fördert. «Die Fondslösungist eine Mogelpackung. Therapien sind eine Krankenkassen-Leistung»,sagt Basler. Er fordert eine gesetzliche Grundlage fürEntschädigungen. Norda Krauel will die Anerkennung von Unrecht, eineRehabilitierung und finanzielle Hilfe.

Die Lage in Ostdeutschland ist komplizierter als im Westen, wo esseit Januar 2012 einen geregelten Anspruch auf Entschädigung fürehemalige Heimkinder gibt. Im Osten erhielten Bewohner des ehemaligengeschlossenen Jugendwerkhofes Torgau und alle Opfer, die politischeMotive für ihre Qual nachweisen konnten, bereits nach demStrafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) eineEntschädigung. Andere gingen bei ähnlicher Pein leer aus. «Als gebees Opfer erster, zweiter und dritter Klasse», kritisiert Lutz Adler,Vorsitzender ehemaliger Heimkinder in Hessen. Er will die Betroffenenim Osten unterstützen - und warnt sie vor einer Fondslösung.

Peter Schruth, Ombudsmann für westdeutsche und ostdeutscheehemalige Heimkinder, sieht die Krux in der rechtlichen Lage. «Eswird kein systematisches Unrecht anerkannt», sagt er. Deshalb könneeine Entschädigung aus einem Fonds nur Folgeschäden berücksichtigen.Günstiger für ostdeutsche Betroffene wäre es, wenn dasStrafrechtliche Rehabilitierungsgesetz, das Ende 2010 weiter geöffnetworden sei, angewendet würde. Denn damit kann es eine monatlicheOpferrente von 250 Euro geben. Käme ein Fonds für den Osten, müsstenAntragsteller wahrscheinlich auf solche Ansprüche verzichten. Dasschürt Misstrauen. Dazu kommt: Der Osten ist sich nicht einig.

Wie unterschiedlich die Interessen der Opfer sind, zeigte sichjüngst beim zweiten Werkstattgespräch in Berlin unter SchruthsLeitung. Zur Beratung war kaum mehr als ein Dutzend Betroffenegeladen, die meisten hatten schon eine Entschädigung erhalten. AlsLutz Adler seine Kritik am Fonds vorbringen will, werden er und auchRobby Basler des Raumes verwiesen. Beide fühlten sich inJugendwerkhof-Zeiten versetzt, als die Runde schließlich darüberabstimmte, ob sie am Mittagessen teilnehmen dürfen.

«Im Westen setzten sich die Betroffenen an den Tisch undautorisierten sich selbst», sagt Ombudsmann Schruth. Dennoch siehtauch er Teile der westdeutschen Fondslösung kritisch. «DieVerzichtserklärung ist zynisch und für diese Opfergruppe ungeeignet»,sagt er. Doch Klagen als mögliche Alternative haben für ehemaligeHeimkinder wenig Sinn. Ihre Erlebnisse sind verjährt, viele Aktenverschwunden, die Täter kaum mehr zu ermitteln.

Die Rehabilitation müsse so angelegt sein, dass jedes Opfer dasbekomme, was es brauche, sagt Heidemarie Puls, Opferbeiratsmitgliedaus Torgau. Viele ehemalige Heimkinder hätten durch körperliche oderpsychische Schäden kaum gearbeit.