Sondierungen Sondierungen für eine große Koalition: Warum Martin Schulz jetzt die Europa-Karte spielt

Berlin - Die obersten Sondierer von Union und SPD haben sich selbst für die kommenden Tage ja verbale Zurückhaltung auferlegt. Deshalb sagte SPD-Chef Martin Schulz am Montag nur knapp, er erhoffe sich in den Sondierungen Ergebnisse, die Deutschland „wieder zum Motor der Europapolitik“ machen.
Während Schulz zum Start der Sondierungsgespräche mit CDU und CSU im Willy-Brandt-Haus als Gastgeber fungieren durfte, musste er am Montag zur Union ins Konrad-Adenauer-Haus. Dafür haben die Delegationen über ein Thema gesprochen, in dem Schulz sich zu Hause fühlt und dem der SPD-Chef eine besonders große Bedeutung beimisst: Europa.
Dass er in den Gesprächen mit der Union stark auf das Thema Europa setzen will, hatte der ehemalige EU-Parlamentspräsident bereits auf dem SPD-Parteitag Anfang Dezember klar gemacht. Dort – wo Schulz um seine Wiederwahl als Parteichef und die Zustimmung der Delegierten zu den Sondierungsgesprächen kämpfte – forderte er „Vereinigte Staaten von Europa“. Und er rief den Sozialdemokraten zu: „Lasst uns endlich Europa voranbringen und aufhören mit dem kleinmütigen Drehen an winzigen Stellschräubchen.“ Für ein gerechtes und innovatives Europa werde die SPD gebraucht.
Drei Gründe für Europa
Schulz spielt also die Europa-Karte – aus drei Gründen. Erstens gibt es tatsächlich einen Bedarf, dass Deutschland sich in Europafragen klarer positioniert. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte nur wenige Tage nach der deutschen Bundestagswahl im September in einer Grundsatzrede vor Studenten der Pariser Universität Sorbonne seine Vision für Europa dargelegt und gefordert, die Länder der EU müssten enger zusammenwachsen. Denn „das Europa, das wir kennen, ist zu langsam, zu schwach, zu ineffektiv“, sagte er. Macron forderte unter anderem ein eigenes Budget für die Eurozone.
Ohne dass Frankreich und Deutschland zusammen arbeiten, geht in Europa nichts voran – so viel ist klar. Das Mindeste, was Macron von der nächsten Bundesregierung erwarten kann, ist also eine Antwort.
Der zweite Grund ist, dass Schulz seinen Mitgliedern neben konkreten, aber eher nüchtern anmutenden Projekten wie der Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit auch etwas Visionäres bieten will. Die Einigungschancen mit der Union sind dabei gar nicht so schlecht: Zwar wollen CDU und die CSU mit Sicherheit kein Eurozonenbudget. Andererseits lässt sich so mancher Schritt einer vertieften Integration schon deshalb leicht fordern, weil ihn im Zweifel andere Länder in Europa blockieren werden. Schwarz-Rot dürfte, bei aller möglichen Blockadehaltung der CSU, europapolitisch zumindest beweglicher sein, als es eine Jamaika-Koalition gewesen wäre. Die FDP bringt vielen von Macrons Ideen maximale Skepsis entgegen.
Drittens ist das Europathema für Schulz natürlich auch deshalb attraktiv, weil er es gut mit der eigenen Person verbinden kann. Dass es sich bei dem Thema um ein Herzensanliegen des langjährigen Europapolitikers und früheren EU-Parlamentspräsidenten handelt, bezweifelt keiner. Dennoch war im Wahlkampf aufgefallen, dass Schulz das Thema zunächst nicht allzu sehr in den Vordergrund gestellt hatte – wohl auch, weil Berater ihm davon abgeraten hatte.
Wie der Hase und der Igel
Als Schulz in einer späteren Wahlkampfphase das Thema dann doch stärker spielte, erinnerte das Ganze aber auch an die Geschichte von Hase und Igel. Zum Beispiel, als er in Sachen Flüchtlingspolitik nach Italien reiste: Kanzlerin Angela Merkel (CDU) rief aus ihrem Urlaub extra noch kurz zuvor den italienischen Premier an, um ihm finanzielle Hilfe in Aussicht zu stellen. Es war, als wollte sie Schulz zurufen: „Ich bin schon da.“
Das Problem, dass die Kanzlerin die wichtigste Ansprechpartnerin für die Verbündeten ist, bliebe natürlich auch in einer erneuten großen Koalition bestehen. Bislang steht zudem noch immer die Frage im Raum, wer dann eigentlich die außenpolitische Stimme der SPD wäre: Schulz oder der bisherige Außenminister Sigmar Gabriel. Letzterer hatte kürzlich in der Fraktion übrigens klar gemacht, dass er Schulz‘ Europakurs inhaltlich unterstütze. Er wies aber zugleich auch darauf hin, dass Teile der SPD-Wählerschaft das Thema skeptisch sähen.