Russland Russland: Millionen Rentner müssen in Armut leben

Moskau/dpa. - Obwohl sie mit einer Rente von 3600 Rubeln (knapp100 Euro) monatlich in einer der teuersten Städte weltweit überlebenmuss, wirkt die Moskauerin zufrieden. Wozu sich beklagen, sagt sie.Die Alten könnten nichts an der Politik ändern. «Wir schlagen unsso durch», betont sie. Hauptsache, den Kindern gehe es gut.
Die ehemalige Büroangestellte ist mit 55 Jahren in Rente gegangen.Da mag manch deutscher Rentner neidisch werden. Doch in Russlandist die durchschnittliche Lebenserwartung mit 58 Jahren für Männerund 72 Jahren für Frauen deutlich niedriger als in Deutschland.
Weil sie an Bluthochdruck und Diabetes leidet, bekommt MariaPetrowna etwas mehr als die durchschnittlichen 2764 Rubel Rente undzusätzlich noch 1000 Rubel Medikamentengeld. Das reicht für dieBehandlung ihrer chronischen Leiden. Doch sobald sie akut krank wird,muss sie ans Ersparte gehen. Am besten sind in Russland dieKriegsveteranen mit einer Basisrente von 6055 Rubel gestellt.
Auch bei Lebensmitteln muss Maria Petrowna genau kalkulieren. Nurin wenigen Geschäften gibt es Preisnachlässe auf wichtigeLebensmittel für sozial Schwache. Immerhin können Rentner dieöffentlichen Verkehrsmittel umsonst benutzen.
Das hätte die russische Regierung gerne geändert. Ihre Pläne, dieVergünstigungen für Rentner bei Medikamenten und öffentlichemNahverkehr durch Geldzahlungen zu ersetzen, lösten Anfang des Jahresim ganzen Land heftige Proteste bei den Betroffenen aus. Es kam sogarzu Hungerstreiks, denn vielerorts hätten die Zahlungen nur knapp 40Prozent der tatsächlichen Kosten gedeckt. Die Politik sah sich zueiner Kursänderung gezwungen: Die Benutzung der städtischenTransportmittel blieb kostenlos, nur für Medikamente gibt es jetzteine monatliche Pauschalzahlung.
Zwar wurden zudem die Renten leicht angehoben, doch auch diePreise für Medikamente stiegen an. Deshalb haben Rentner wie PjotrDawydowitsch letztlich gar nichts von der viel gepriesenenRentenerhöhung. Der Moskauer gehört zu den 60 Prozent aller Rentner,deren Geld nicht für die notwendigen Medikamente reicht. Vor einigenWochen ist seine Tochter an Diabetes gestorben, weil in den staatlichsubventionierten Apotheken die benötigte Arznei nicht mehr verfügbarwar. Das gleiche Mittel aus einer kommerziellen Apotheke konnte sichdie Familie nicht leisten.
Für die allermeisten älteren Menschen in Russland ist dasRentnerdasein ein Leben voller Entbehrungen. Nur elf Prozent gaben ineiner Umfrage an, sich neben Lebensmitteln und Medikamenten auch neueKleidung leisten zu können. Theaterbesuche oder der Kauf vonZeitungen bleiben einigen wenigen vorbehalten. Um über die Runden zukommen, bauen viele wie zur Sowjetzeit auf ihrer Datscha Gemüse an.
«Wir sind zu alt, um uns über die Politik aufzuregen», sagt MariaPetrowna. Die Rentner-Proteste im vergangenen Winter hätten sie nichtinteressiert, sie habe nicht einmal Nachrichten gesehen. «Ich möchtenur meine Ruhe haben», erklärt die Rentnerin und steht auf, um denTisch zu decken. Die Suppe ist fertig.
Eine Stunde später sitzt Maria Petrowna auf der Bank vor ihremHaus im Moskauer Außenbezirk Birjuljowo. Sie hat sich hübsch gemacht,um mit ihren Freundinnen aus den Nachbarhäusern den Abend im Hof zuverbringen. Es ist ein für Russland typisches Bild: Vor fast allenHauseingängen sitzen Babuschkas und reden über ihre Familien, ihreGesundheit und die Preise. Manchmal schweigen sie auch nur und sehensich die Passanten an. Wer sie grüßt, wird als Nachbar akzeptiert.