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Russland Russland: Kaliningrad kämpft gegen das Schmuddelimage

26.10.2005, 07:47
Ein russischer Grenzpolizist steht am russisch-polnischen Grenzübergang Bagrationowsk bei Kaliningrad (Königsberg); im Hintergrund stauen sich kilometerlang die Autos der Menschen, die oft mehr als zehn Stunden anstehen, um für umgerechnet zehn Euro ein paar Stangen Zigaretten und einen vollen Benzintank über die Grenze nach Polen zu schaffen. (Foto: dpa)
Ein russischer Grenzpolizist steht am russisch-polnischen Grenzübergang Bagrationowsk bei Kaliningrad (Königsberg); im Hintergrund stauen sich kilometerlang die Autos der Menschen, die oft mehr als zehn Stunden anstehen, um für umgerechnet zehn Euro ein paar Stangen Zigaretten und einen vollen Benzintank über die Grenze nach Polen zu schaffen. (Foto: dpa) dpa

Kaliningrad/dpa. - Mit der Osterweiterung der Europäischen Union ist das Gebiet im ehemals deutschen Osten aufgewacht. Der Vorposten Russlands im Westen will sein Schmuddelimage loswerden.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion sorgte das zuvor über Jahrzehnte für Ausländer gesperrte Gebiet für üble Schlagzeilen. Von der höchsten Aids-Rate in ganz Russland war in der Hafenstadt Kaliningrad ebenso die Rede wie vom Ausbruch der Armutskrankheit Tuberkulose. In den Nachbarländern an der Ostseeküste rümpfte man die Nase angesichts der armen Schlucker aus Kaliningrad, die sich zu einem großen Teil mit Zigaretten- und Wodkaschmuggel über Wasser hielten. Selbst im russischen Vergleich schnitt das Gebiet miserabel ab.

Spätestens seit der EU-Osterweiterung 2004 hat auch der Kreml den Ernst der Lage erkannt: Mit den Nachbarn Polen und Litauen ist das Gebiet im Westen von EU-Staaten umschlossen. PräsidentWladimir Putin hat große Pläne mit dem einstigen Norden Ostpreußens, der nach dem Zweiten Weltkrieg Moskau zufiel. Kaliningrad soll als Pilotregion bei der Annäherung zwischen Russland und der Europäischen Union voranschreiten.

Der vom Kreml entsandte neue Gouverneur Georgi Boos, ehemaligerSteuerminister und erfolgreicher Unternehmer, soll das Gebiet auf Vordermann bringen. «Wir müssen so schnell wie möglich dasDurchschnittseinkommen unserer Nachbarländer erreichen», fordertBoos. Noch ist der Abstand groß: Während der Durchschnittslohn inKaliningrad bei weniger als 250 Euro pro Monat beträgt, verdienen dieNachbarn in Litauen und Polen etwa das Doppelte.

Boos gilt als politisches Schwergewicht, nicht nur, weil erdoppelt so viele Kilos auf die Waage bringt wie sein Vorgänger imAmt, der frühere Flottenadmiral Wladimir Jegorow. «Putin will, dassBoos das Gebiet wie einen deutschen Betrieb organisiert: Alles musseffektiv sein», beschreibt ein Kreml-Beamter die Zielsetzung fürMoskaus Mann in der Region.

Bundeskanzler Gerhard Schröder konnte sich Anfang Juli davonüberzeugen, dass Kaliningrad aus dem Dämmerzustand erwacht ist. Beiden Feiern zur Gründung von Königsberg vor 750 Jahren bekam derKanzler eine blitzblanke Stadt präsentiert. Zwar ließen sich dieBausünden der Sowjetmacht nicht verbergen, doch dafür versöhnteneinige renovierte Sehenswürdigkeiten aus deutschen Jahrhunderten wieder Dom und das Königstor mit der schwierigen Geschichte der Stadt.

Seit einigen Jahren geht es in und um Kaliningrad mit denAuslandsinvestitionen bergauf. Mehr als 50 Millionen Euro flossen imVorjahr in das Gebiet. Im Jahr 2000 lagen die Investitionen aus demAusland noch bei 15 Millionen Euro.

Massive Zollerleichterungen haben Industrieunternehmen an dieBernsteinküste gelockt. BMW lässt seit Jahren Autos in Kaliningradzusammenbauen. Auch Kühlschränke und Fernseher werden vor Ortgefertigt. Gouverneur Boos will sein Gebiet zur Sonderwirtschaftszoneerster Klasse erklären lassen. «Wenn das Parlament in Moskauzustimmt, brauchen Investoren bei uns in Zukunft die ersten sechsJahre keine Steuern zu zahlen», wirbt der neue starke Mann inKaliningrad. Die Grenzüberquerung werde für Menschen und Warenerleichtert, verspricht Boos.

Dass die neue Politik vorerst mehr aus Worten als aus Tatenbesteht, ist am Übergang Bagrationowsk (Preußisch Eylau) an derGrenze zu Polen zu spüren. Zehn Stunden und mehr stehen russische undpolnische Bürger in der Warteschlange, um für einen Lohn vonumgerechnet zehn Euro ein paar Stangen Zigaretten und einen vollenBenzintank über die Grenze nach Polen zu schaffen. Ein älterer Russeerklärt, wie wenig er vom neuen Gouverneur erwartet. «Was kann einMoskauer ausrichten, wenn bei uns keiner richtig arbeiten will?»,schimpft der pensionierte Soldat Wjatscheslaw, nachdem er sich mitseinem Auto in die kilometerlange Schlange eingereiht hat.