Russland Russland: Erinnerung an Horror von Beslan

Moskau/dpa. - Zum Schuljahresbeginn am 1. September 2004 nahmen Terroristen aus Tschetschenien und Inguschetien mehr als 1100 Kinder und Erwachsene als Geiseln. Nach zwei Tagen Hunger, Durst und Hitze in der Schulturnhalle endete das Drama in einem Blutbad mit mehr als 330 Todesopfern. 186 von ihnen waren Kinder.
Die orthodoxe Kirche dringt darauf, die ausgebrannte Sporthalleabzureißen und dort eine Kapelle zu errichten. Doch Hinterbliebene in der Organisation «Golos Beslana» (Stimme Beslans) protestieren: «Die Turnhalle ist der Beweis für die Verbrechen nicht nur der Terroristen, sondern auch der Staatsmacht gegen unschuldige Opfer.»
Die Menschen in Beslan treibt seit zwei Jahren der Verdacht um,dass der russische Staat von der Ortspolizei bis hinauf zu Präsident Wladimir Putin bei der Rettung der Kinder versagt hat und diesvertuschen will. Zwar traf sich Putin zum ersten Jahrestag derTragödie 2005 mit Hinterbliebenen und sagte zu, ihre Einwände zuprüfen. Doch an der offiziellen Sicht auf Beslan hat sich seitdemnichts geändert.
Nach Angaben der Ermittler wurden die etwa 30 Geiselnehmer allebis auf einen getötet. Der überlebende Terrorist Nurpaschi Kulajewaus Tschetschenien wurde im Mai 2006 in Wladikawkas, der Hauptstadtvon Nordossetien, zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Todesstrafeblieb ihm erspart, weil sie in Russland seit dem Beitritt zumEuroparat 1996 nicht mehr vollstreckt werden darf. ÜberlebendeGeiseln sagten indes im Prozess aus, dass mehr Terroristen in derSchule gewesen seien als offiziell behauptet.
Am meisten martert die Menschen in Beslan die Frage, was am 3.September 2004 eine verhängnisvolle Explosion in der Turnhalleauslöste, die ein stundenlanges Feuergefecht zwischen Terroristen undSicherheitsbehörden hervorrief. Eine Parlamentskommission in Moskauschloss sich der offiziellen Version an, die zufällige Detonationeiner Terroristenbombe habe das Blutbad ausgelöst.
Das Gremium unter Vorsitz des kremlnahen Abgeordneten AlexanderTorschin hat bislang nur einen vorläufigen Bericht veröffentlicht.Nach langer Verzögerung soll die Endfassung nun nach dememotionsgeladenen Jahrestag im September vorgestellt werden.
Doch ein Kommissionsmitglied, der Abgeordnete Juri Saweljew, legtein dieser Woche einen abweichenden Bericht vor. Eingreif-Kräftehätten mit Granatbeschuss von außen einen Sturm der Turnhalleeingeleitet, schrieb der Sprengstoffexperte. Gegen den Rat des mitZivilisten besetzten Krisenstabs habe eine kleine Gruppe ranghoherGeheimdienstoffiziere das gewaltsame Durchgreifen angeordnet. DerKreml wollte sich nicht erpressen lassen.
Der Mann, der Putin in Beslan herausforderte und sich mehrfach zurPlanung des brutalen Anschlags bekannt hat, ist mittlerweile tot:Anfang Juli wurde der gefürchtete tschetschenische TerroristenführerSchamil Bassajew bei einer Bombenexplosion in Inguschetien getötet.
Im August stieg die Zahl der Todesopfer in Beslan auf 332, weileine 68-jährige Frau ihren Verletzungen erlag. Die Großmutter hattedamals ihre Enkel zur Schule begleitet. Zum Jahrestag am 1. Septemberwerden die Menschen in Beslan erneut Kerzen am Ort des Schreckensaufstellen und trauern. Und am 3. September um 13.05 Uhr, demZeitpunkt der ersten Explosion, sollen 332 weiße Luftballons in denHimmel steigen - einer für jeden Toten.