Russland Russland: Beim Sturm auf die Schule sterben über 300 Menschen

Beslan/dpa. - Vielen der Todesopfern soll in den Rücken geschossen wordensein. Am späten Freitagabend ebbten die stundenlangen Gefechte der Einsatzkräfte mit geflohenen Terroristen ab. Die Kommandoführungerklärte den Einsatz in der Schule für beendet.
Am späten Abend teilte ein Sprecher der örtlichen Regierung mit,dass drei Geiselnehmer lebend gefasst worden seien. Unklar blieb, obsich noch bis in die Nacht Geiseln in der Hand der geflohenenTerroristen befanden.
Nach Mitternacht Ortszeit zitierte die Agentur Interfax eineanonyme Quelle in den Gesundheitsbehörden, die von mehr als 200getöteten Geiseln sprach. Zuvor hatte der Kaukasus-Berater vonPräsident Wladimir Putin, Aslanbek Aslachanow, mitgeteilt, die Zahlder Todesopfer des Terroraktes könnte deutlich über 150 liegen. Biszum späten Abend identifizierten Angehörige die Leichen von rund 80Geiseln. Zwanzig Terroristen wurden nach offiziellen Angaben getötet.Zehn von ihnen seien Bürger arabischer Staaten, hieß es beimInlandsgeheimdienst FSB.
Der Einsatz der Sicherheitskräfte zur Geiselbefreiung sei nichtgeplant gewesen, betonte Aslachanow. Das Vorgehen sei ausgelöstworden, nachdem nach mehreren Explosionen im Schulgebäude eine Gruppevon Kindern geflohen sei. Die Geiselnehmer hätten das Feuer auf sieeröffnet. «Sie schossen von hinten auf die Kinder, daher wurde dasEinsatzsignal zum Schutz der Kinder gegeben», sagte Aslachanow. «Esereignete sich eine Tragödie, wir haben sie nicht erwartet.»
Im Kugelhagel der Terroristen rannten Frauen und Kinder am Mittagin Todesangst zum Teil halb nackt und schreiend aus dem Gebäude.Rettungskräfte versorgten die geflohenen Geiseln, die seit Beginn desDramas nichts zu essen bekommen hatten, zunächst mit Wasser undNahrung. Eine Junge berichtete, dass einige Kinder in Gefangenschaftaus lauter Not Urin getrunken hätten.
Die Aktion begann um 13.05 Uhr Ortszeit (11.05 MESZ). Mitarbeiterdes Zivilschutzes waren nach telefonischer Absprache mit denGeiselnehmern auf den Schulhof gekommen, um die Leichen mehrererMenschen zu bergen, die am Mittwoch bei dem Überfall auf die Schulegetötet worden waren. Dabei kam es nach offizieller Darstellung zueiner Explosion im Gebäude, in dem die Geiselnehmer Sprengsätzeangebracht hatten. Fünf Terroristen sollen dabei ums Leben gekommensein.
Einer Gruppe von Schulkindern gelang es danach, durch ein Loch inder Wand auf den Schulhof zu entkommen. Die Terroristen schossen aufdie fliehenden Kinder, mindestens fünf von ihnen starben.
Nach Medienberichten wurden über 100 Leichen von Geiseln in derSchulturnhalle entdeckt, in der die Terroristen ihre Opferfestgehalten hatten. Am Mittag hatten mehrere Explosionen das Innereder Turnhalle erschüttert und einen Teil des Daches zum Einsturzgebracht. Auch ein Feuer brach in der Schule aus.
Bereits am ersten Tag der Geiselnahme wurden nach offiziellenAngaben bei einer Schießerei mit zivilem Wachpersonal mehrereMenschen getötet. Nach Angaben freigelassener Frauen sollen sich zweiTerroristinnen am Mittwochabend mit mehreren Gefangenen in die Luftgesprengt haben. Dabei sollen bis zu 21 Männer getötet wordensein. Freigelassene Geiseln hatten berichtet, die gefangenen Männerseien getrennt von Frauen und Kindern festgehalten worden.
Die mit Granatwerfern und Sprengstoffgürteln bewaffneten Männerund Frauen hatten am Mittwochmorgen die Schule während der Feier zumSchuljahresbeginn im Hof überfallen. Sie verschanzten sich mit ihrenGeiseln im Schulgebäude. Am Donnerstag ließen sie 26 Frauen und Babysfrei. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte den Schutz desLebens der Opfer am Donnerstag zum höchsten Ziel erklärt. Angeblichhatten die Terroristen den Abzug russischer Truppen ausTschetschenien sowie die Freilassung von inhaftiertenGesinnungsgenossen gefordert.
Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joschka Fischerverurteilten die Tat als abscheuliches Verbrechen. Der Vorsitzendedes EU-Außenministerrats, der niederländische Außenminister BernardBot, sprach von einer «schrecklichen menschlichen Tragödie».
Das Geiseldrama in Südrussland war der dritte Terroranschlag imLand in acht Tagen. Erst am vergangenen Dienstag waren bei einemSelbstmordanschlag in Moskau mindestens zehn Menschen getötet worden.Eine Woche zuvor hatten zwei weitere mutmaßliche tschetschenischeSelbstmordattentäterinnen mit Bomben zwei Flugzeuge zum Absturzgebracht. Dabei waren 90 Menschen getötet worden.

