Rückzug von Simone Peter Rückzug von Simone Peter: Die Grünen stehen vor der Komplett-Erneuerung an der Spitze

Berlin - Nach der Bundestagswahl und dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen stehen die Grünen vor einer Komplett-Erneuerung ihrer Parteispitze: Wie die bisherige Vorsitzende Simone Peter am Montag mitteilte, will sie beim Parteitag Ende Januar nicht für eine weitere Amtszeit kandidieren. Statt der 52-jährigen zieht jetzt die gleichaltrige niedersächsische Fraktionschefin Anja Piel als Vertreterin des linken Flügels ins Rennen. Peters Co-Vorsitzender Cem Özdemir (52) hatte bereits vor geraumer Zeit deutlich gemacht, dass er keine Wiederwahl anstrebt.
Simone Peter schrieb jetzt in einem offenen Brief, Piels Ambitionen hätten sie selbst bewogen, den Platz frei zu machen. „Der Partei wird damit ein neues, breites Personalangebot gemacht.“ Sie wolle sich einer Erneuerung der Parteispitze nicht verschließen. Bereits bisher habe sie dafür geworben, dass weiterhin alle Meinungen und Richtungen der Partei im Bundes- und Fraktionsvorstand vertreten sind.
Auch Habeck und Baerbock sind im Rennen
Mit der Kandidatur Piels gibt es jetzt insgesamt drei Bewerber für die zwei Vorsitzenden-Posten bei den Grünen, theoretisch könnten es sogar noch mehr werden. Ebenfalls im Rennen sind der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck (48) und die brandenburgische Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock (37). Beide gehören dem Realo-Flügel an. Die Grünen-Satzung schreibt vor, dass mindestens ein Chefposten an eine Frau gehen muss. Bisher war es in der Praxis stets so, dass auch beide Parteiströmungen im Führungsduo vertreten waren. Allerdings ist dies nicht zwingend.
Denkbar wäre nach bisheriger Lage demnach eine reine Realo-Spitze aus Habeck und Baerbock, ein Links-Realo-Frauenduo Piel/Baerbock oder ein Links-Realo-Tandem Piel/Habeck. Wie sich die Bundesdelegiertenkonferenz – so heißen Parteitage bei den Grünen – Ende des Monats entscheiden wird, lässt sich nicht seriös vorhersagen. Das Treffen findet am 26. und 27. Januar in Hannover statt. Anders als in der Partei scheint die Führungsfrage in der Bundestagsfraktion geklärt: Die bisherigen Vorsitzenden Katrin Göring-Eckardt, eine Reala, und Toni Hofreiter, ein Vertreter des linken Flügels, gelten weiterhin als gesetzt. Die Fraktion kommt Ende dieser Woche zu einer Klausur zusammen, bei der es auch um die künftige Aufgabenverteilung gehen soll.
„Nur gemeinsam und im Gespräch“
Die Kandidatur Anja Piels für den Parteivorsitz ist dem Vernehmen nach keine koordinierte Aktion des gesamten linken Flügels. In ihrem Bewerbungsschreiben ruft Piel beide Grünen-Lager dazu auf, sich nicht zu sehr mit Nabelschau und Flügelkonflikten zu beschäftigen. Der Streit um die besten Lösungen und Inhalte habe der Partei noch nie geschadet, schreibt Piel. Dennoch gelte: „Nur gemeinsam und nur im Gespräch mit unseren Verbündeten können wir die Welt verändern.“
Piel lässt zugleich keinen Zweifel daran, dass sie weiterhin dezidiert linke Positionen vertreten will. „Für mich ist klar: Wenn es um Gerechtigkeit geht, geht es immer auch um Umverteilung“, schreibt sie. Piel, die von Hause aus Industriekauffrau ist, verweist in dem Schreiben auch auf ihre politische Erfahrung. Als Fraktionsvorsitzende im niedersächsischen Landtag sicherte sie unter anderem die rot-grüne Koalition unter Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) ab, die von 2013 bis 2017 Bestand hatte.
Alle Kandidaten für den Parteivorsitz werden jetzt beginnen, im Lichte der neuen Lage Allianzen zu bilden. Der Chef der nordrhein-westfälischen Grünen, Sven Lehmann, sagte dieser Zeitung am Montag: „Wir haben zwei sehr starke Frauen im Angebot für die Parteispitze. Welche Partei kann das schon von sich sagen?“
Die scheidende Grünen-Chefin Simone Peter hatte den Co-Vorsitz im Herbst 2013 übernommen. Peter, eine promovierte Biologin und langjährige Energiewende-Aktivistin, stammt aus dem Saarland. Dort war sie vor ihrem Wechsel nach Berlin zeitweise Umweltministerin. In der Bundespartei war Peter umstritten. Kritiker warfen ihr vor, zu wenig Akzente zu setzen und mit dem Job überfordert zu sein. Ihr Verhältnis zu Özdemir gilt als ausgesprochen schwierig.