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Parteivorsitz der Grünen Robert Habeck und Annalena Baerbock: Kandidatur der Realpolitiker

Von Markus Decker 13.12.2017, 15:24
Der mögliche neue Parteivorsitzende Habeck (l.) neben dem ausscheidenden Parteivorsitzenden Özdemir (m.) und der Co-Fraktionschefin Göring-Eckhardt (r.) auf dem Parteitag im November.
Der mögliche neue Parteivorsitzende Habeck (l.) neben dem ausscheidenden Parteivorsitzenden Özdemir (m.) und der Co-Fraktionschefin Göring-Eckhardt (r.) auf dem Parteitag im November. dpa

Berlin - Am Dienstagabend um 20.54 Uhr meldete sich via Twitter Christian Meyer zu Wort, stellvertretender Vorsitzender der grünen Fraktion im niedersächsischen Landtag und zwischen Jadebusen und Harz zuletzt ein ziemlich umstrittener Landwirtschaftsminister.

Der Parteilinke Meyer schrieb bei Twitter, der Europaabgeordnete Sven Giegold wäre „ein guter Parteivorsitzender zusammen mit Simone Peter“. Soll keiner sagen, die Sache sei gelaufen und die Realo-Kandidaten Annalena Baerbock und Robert Habeck seien bereits durch.

Die brandenburgische Bundestagsabgeordnete und Schleswig-Holsteins Umweltminister haben am Sonntag binnen weniger Stunden ihre Kandidatur erklärt. Die Entscheidung soll Ende Januar auf der nächsten Bundesdelegiertenkonferenz fallen. Die Grünen sind deshalb ziemlich in Wallung.

Das hat mit Baerbock und Habeck zu tun, die eine ungeschriebene Regel durchbrechen wollen: dass nämlich jeweils ein Vertreter des linken und des Realo-Flügels die Parteispitze bilden. Den Linken schmeckt die befürchtete Realo-Dominanz nicht, die ja den Trend der letzten Jahre bestätigen würde.

Mögliche Sonderregelung für Habeck

Allerdings räumen dieselben Linken ein, dass Simone Peter, die dem linken Flügel angehört und wieder antreten will, gegen Baerbock wohl unterliegen werde. Eine andere aussichtsreiche linke Kandidatin hat sich bisher nicht gemeldet. Hinzu kommt, dass Habeck nach eigenen Worten noch „pi mal Daumen“ bis zu einem Jahr Parteichef und Minister bleiben möchte, obwohl die Satzung eine Trennung vorsieht.

Nun müssen die Grünen entscheiden, ob sie ihm das durchgehen lassen. Mittlerweile liegen zwei Anträge vor, die eine Übergangsfrist von einem Jahr vorsehen. Ein weiterer Antrag will dagegen nur sechs Monate erlauben. Ein vierter Antrag will die Trennung von Amt und Mandat komplett aufheben.

Aus führenden Parteikreisen verlautet, der 48-Jährige sei tatsächlich eine tragende Säule der Jamaika-Koalition an der Küste. Er könne da nicht sofort gehen. Zugleich verlautet: „typisch Robert“. Sprich: Mal wieder eine Extrawurst. Dass der studierte Philosoph und Schriftsteller wegen seines Charismas ein grüner Glücksfall ist, bestreitet unterdessen niemand.

In der Fraktionssitzung am Montag habe es über die Gemengelage „eine intensive Diskussion“ gegeben, sagen Teilnehmer. Linke Grüne sorgen sich, dass ihre Inhalte nicht mehr vertreten werden. Und eine einjährige Übergangsfrist für Habeck ist dem Vernehmen nach den meisten zu lang.

Für zusätzliche Unruhe sorgt, dass niemand weiß, ob der auf eigenen Wunsch ausscheidende Parteivorsitzende Cem Özdemir bei der Mitte Januar geplanten Neuwahl der Fraktionsvorsitzenden nicht gegen Amtsinhaber Anton Hofreiter antritt. Der 51-Jährige sagte am Montag, er sei bereit, in der Fraktion Verantwortung zu übernehmen.

Unklarheit über Özdemirs Rolle

Das lässt Raum für Spekulationen und klang so, als wolle er gebeten werden. Özdemirs Qualitäten als Redner werden geschätzt – zumal es für die Grünen als schwächste Oppositionsfraktion mehr denn je darauf ankäme, sich rhetorisch maximales Gehör zu verschaffen.

Freilich geht Özdemirs Realo-Kurs auch manchen Realos zu weit. Und Hofreiter wird nicht allein deshalb favorisiert, weil er anders als Baerbock, Habeck, Özdemir und die vermutlich im Amt verbleibende Co-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt ein Parteilinker ist. Der bescheidene Bayer ist auch menschlich beliebt. Fraktionsmitglieder sagen, Özdemir würde gegen ihn nicht gewinnen können.

Als intern beste Lösung gilt, dass der anatolische Schwabe aus Bad Urach die Nachfolge des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann antritt, der ihn auf dem grünen Landesparteitag am Wochenende auffallend lobte. Beide sind in konservativen bürgerlichen Kreisen oft populärer als in der eigenen Partei.

Özdemir könnte Ausschuss-Vorsitzender werden

Zwar gibt es bei den Landes-Grünen auch andere Nachfolge-Kandidaten – nur eben keine mit dieser Ausstrahlung. Als zweitbeste Lösung wird gehandelt, Özdemir die Leitung eines Bundestagsausschusses zu übertragen. Da käme er Göring-Eckardt und Hofreiter nicht ins Gehege und hätte dennoch ein Spielfeld, das sich auch medial nutzen ließe.

Özdemir wäre dann so etwas wie der Norbert Röttgen der Grünen; der CDU-Politiker war bis zuletzt Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Das Problem besteht darin, dass die Grünen wohl lediglich zwei Ausschuss-Vorsitze übernehmen können. Die attraktivsten werden es nicht sein.

Es wird darum bei der Ökopartei noch einige Wochen ruckeln, bis die neue Spitze steht. Und gewiss nicht alle werden am Ende mit ihrer Beschaffenheit zufrieden sein.