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Reportage aus Guantanamo Bay Reportage aus Guantanamo Bay: "Der Folterbericht ändert alles"

Von Damir Fras 19.12.2014, 14:21

Guantanamo Bay - US-Brigadegeneral Mark Martins möchte nicht mehr über Termine sprechen. Das war vor einigen Monaten noch ganz anders. Da erklärten die Ankläger freimütig, der Militärprozess gegen die mutmaßlichen Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington werde vielleicht schon Anfang 2015 beginnen. Doch sie sind vorsichtig geworden. „Es gibt keinen neuen Termin, und ich werde auch nicht über ein neues Datum spekulieren“, sagt der Chefankläger Martins.

Das Verfahren gegen Khalid Scheich Mohammed und vier andere mutmaßliche Terror-Planer tritt auf der Stelle. Wann der Prozess beginnen wird, weiß niemand – und das mehr als 13 Jahre nach den Anschlägen. Denn der vergangene Woche veröffentlichte Bericht über die Folter durch den US-Geheimdienst CIA droht den größten Terrorismusprozess in der Geschichte des Landes zu einer Angelegenheit ohne absehbares Ende zu machen.

Es droht die Todesstrafe

Mark Martins sitzt in einem schmucklosen Konferenzraum auf dem US-Stützpunkt Guantanamo Bay auf Kuba und sagt, dass er den Frust der Angehörigen der Opfer des 11. September wegen der langen Wartezeit ja verstehe, aber auch nichts machen könne. Es müssten eben juristische Regeln eingehalten werden, das brauche seine Zeit. Dann sagt Martins: „Wir werden unsere Bemühungen fortsetzen, die Sache fair zum Abschluss zu bringen, was immer dazu nötig ist.“ Der schlaksige General fügt hinzu, dass er das Interesse an dem Fall nicht verlieren werde. Er klingt, als hätte ihm jemand genau das unterstellt.

Mehr als zweieinhalb Jahre sind vergangen, seit die Vorverhandlungen für den Prozess vor einem eigens für die Angeklagten eingerichteten Militärgericht begonnen haben. Des Mordes in rund 3000 Fällen angeklagt ist neben dem mutmaßlichen Drahtzieher Khalid Scheich Mohammed der mutmaßliche Terrorist Ramzi Binalshib, der zur Hamburger Zelle um den Todespiloten des 11. September Mohammed Atta gehörte.

Sie werden in den USA zusammen mit Ammar al-Baluchi, Mustafa Ahmed al-Hawsawi und Walid bin Attasch die „Guantanamo Five“ genannt. Seit Jahren sitzen sie in Camp 7 ein, einem Hochsicherheitsgefängnis, das sich an geheim gehaltener Stelle auf der US-Marinebasis Guantanamo befindet. Ihnen droht die Todesstrafe, sollten sie verurteilt werden.

183 Mal Waterboarding

Doch ob es jemals zu einem echten Prozess kommen wird, ist seit vergangener Woche ungewisser als zuvor. „Der CIA-Folterbericht ändert alles“, sagt Al-Baluchis Anwalt James Connell im Gespräch mit der Berliner Zeitung. Auf mehr als 500 Seiten sind in dem Bericht erstmals offiziell die Folterungen dokumentiert, die den Angeklagten von CIA-Agenten angetan wurden.

Khalid Scheich Mohammed etwa wurde 183 Mal dem sogenannten Waterboarding unterzogen, einer Verhörtechnik, die dem Gefangenen das Gefühl gibt, er ertrinke.

Auch Connells Mandant Al-Baluchi wurde laut Bericht mehrmals sogenannten verschärften Verhörtechniken unterzogen. Das wurde damals von höchster Stelle in der US-Regierung gebilligt, und Ex-Vizepräsident Dick Cheney etwa findet auch heute noch, dass die Folterverhöre wertvolle Informationen brachten, um dem Al-Kaida-Gründer Osama bin Laden auf die Spur zu kommen. Im nun veröffentlichten Bericht wird das allerdings bestritten.

Anwalt Connell will den CIA-Folterbericht nun in seine Verteidigungsstrategie einbauen. „Bislang konnten wir nur die Behauptungen unserer Klienten weitergeben, wonach sie gefoltert worden sind. Nun sind diese Worthülsen mit Inhalt gefüllt“, sagt der Jurist. Der Bericht enthalte Angaben, deren Übergabe die Anklage bislang unter Verweis auf Geheimhaltungsvorschriften verweigert hat. Connell verlangt zudem die Herausgabe des gesamten Folterberichts, den der Geheimdienstausschuss des US-Senats in mehr als fünfjähriger Arbeit erstellt hat. Er umfasst mehr als 6000 Seiten und könnte noch tieferen Einblick in das Folterprogramm des US-Geheimdienstes bringen. Sollte das immer noch nicht ausreichen, um seinen Mandanten vor der Todesstrafe zu bewahren, will Connell sogar die Freigabe der Original-Dokumente fordern, die von den CIA-Folterknechten geschrieben wurden. Das sind dem Vernehmen nach mehrere Millionen Blatt.

Zwar verspricht Chefankläger Martins, er werde keine Angaben verwenden, die die Verdächtigen unfreiwillig abgegeben hätten. Doch stellt diese Zusage die Verteidiger der „Schlimmsten aller Schlimmen“, wie der ehemalige Vizepräsident Cheney die Angeklagten nannte, nicht zufrieden. Die Anwälte sagen, dass Aussagen auch dann nicht als freiwillig abgegeben gelten können, wenn sie Tage oder Wochen nach der Folter gemacht wurden.

Respektlose Behandlung

Noch ist der CIA-Bericht im Hochsicherheitsgerichtssaal von Guantanamo gar nicht debattiert worden. Doch selbst ohne den brisanten Bericht geht das Verfahren nur zäh voran, wenn überhaupt. Im gesamten Jahr 2014 fanden nach Angaben von Rechtsanwalt Connell nur an fünf Tagen Anhörungen mit den Angeklagten statt. Meistens verhakten sich Anklage und Verteidigung wegen Nebensächlichkeiten, die einen Prozessbeginn immer weiter hinauszögern.

So war es auch wieder Anfang der Woche: Als sich Verteidiger und Ankläger mit dem Armeerichter James Pohl in dem mit Stacheldrahtverhau gesicherten Gerichtsgebäude in Guantanamo trafen, ging es nicht um die Terroranschläge. Der Streit drehte sich um die Frage, warum die Armee Frauen einsetzen muss, um die Gefangenen aus ihrer Zelle ins Gericht zu transportieren. Das lehnen einige der Terrorverdächtigen aus religiösen Gründen ab. Es begreife kein Mensch, warum die Armee nicht in der Lage sei, das zu respektieren, sagte Rechtsanwalt Connell. Doch die Armee sieht sich tatsächlich nicht in der Lage.

Streit hinter verschlossenen Türen

Auch der Vorwurf, dass die US-Bundespolizei FBI versucht haben soll, an Informationen aus vertraulichen Gesprächen zwischen Angeklagten und ihren Rechtsanwälten zu kommen, verursachte viel Ärger und behinderte Fortschritt. Also strich Richter Pohl die öffentlichen Anhörungen und verschob sie auf einen späteren Zeitpunkt, wieder einmal. Die „Schlimmsten der Schlimmen“ müssen einmal mehr nicht vor Gericht erscheinen. Die extra für sie angeschafften Wartezellen aus Metall vor dem Gerichtsgebäude, die pro Stück 40.000 US-Dollar gekostet haben, bleiben wieder leer.

Prozessbeobachter von Bürgerrechtsorganisationen und Anwaltsverbänden, die alle paar Wochen von Washington nach Guantanamo geflogen werden und dort nichts zu beobachten haben, wenn der juristische Stellungskrieg wieder einmal hinter verschlossenen Türen ausbricht, scherzen inzwischen schon: Dass der Jahrhundertprozess gegen die mutmaßlichen Terroristen demnächst beginnt, sei so wahrscheinlich wie ein Schneesturm über Guantanamo Bay.