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Rente Rente: Kapitalisten ohne Kapital

Von BÄRBEL BÖTTCHER 19.09.2011, 17:18

BAD SUDERODE/MZ. - Ihr ganzes Leben lang hat Christa Maximilian gearbeitet. Hart. "Aber ich habe es gern gemacht", sagt sie. Jetzt, im Alter, vermisst sie eine Würdigung dieses Einsatzes, eine, die sich in Euro und Cent ausdrückt. Und das ärgert die 77-Jährige gewaltig.

Eigentlich war Christa Maximilian Kindergärtnerin. Doch ihr Ehemann Benno, ein Drogist, machte sich 1962 selbstständig. Er übernahm in Gernrode als Kommissionshändler der HO (in der DDR die Abkürzung für Handelsorganisation) eine Drogerie. Und er brauchte tatkräftige Unterstützung. So wurde im Frühjahr 1963 aus der Kindergärtnerin eine so genannte mithelfende Ehefrau.

Feste Arbeitszeiten kannte Christa Maximilian seitdem nicht mehr. Sie schmiss den Laden, wenn ihr Mann unterwegs war, um Ware ranzuschaffen. Es war zu DDR-Zeiten nicht so ganz leicht, die Kundschaft zufrieden zu stellen. Und so war er oft unterwegs. Die Rentnerin erinnert sich an die langen Schlangen vor dem Geschäft, wenn es Raufaser-Tapete gab. Zu Weihnachten seien sie glücklich gewesen, wenn sie wenigsten sechs oder sieben Weihnachtsbaumspitzen im Sortiment hatten. Nicht sechs oder sieben Sorten. Nein, sechs oder sieben Stück. Heute kann man darüber nur noch lachen.

Die Arbeit war körperlich oft schwer. "Aller 14 Tage kam eine Lieferung mit Lacken und Farben. Die musste dann in den Lagerraum im Keller geschleppt werden", erzählt Christa Maximilian. Zwar beschäftigten die Drogisten auch zwei Verkäuferinnen. Für die habe jedoch ein strenger Arbeitsschutz gegolten. Ihrem Einsatz seien daher enge Grenzen gesetzt gewesen.

Abends, nach Geschäftsschluss, wurde oft neu dekoriert und vieles andere mehr getan, was zu einem erfolgreichen Geschäftsablauf nötig war. "Keine Frau musste so viel arbeiten wie eine mithelfende Ehefrau", resümiert sie.

Und ganz "nebenbei" sorgte die Geschäftsfrau für drei Kinder. "Als Selbstständige einen Kindergartenplatz zu bekommen, war so gut wie aussichtslos", sagt sie. "Unser Jüngster, 1965 geboren, ist praktisch im Geschäft aufgewachsen."

Verdient hat Christa Maximilian dabei so gut wie nichts. 3 840 DDR-Mark jährlich - das sind monatlich 320 Mark - habe ihr Mann für sie steuerlich absetzen dürfen. Immerhin, und da geht es ihr besser als vielen anderen mithelfenden Ehefrauen oder anderen Familienangehörigen, war sie rentenversichert. Und so erhält sie eine kleine Rente. Etwas mehr als 600 Euro netto sind es jeden Monat. "Wenn ich meinen Mann nicht hätte, müsste ich zum Sozialamt oder weiter arbeiten gehen", betont Christa Maximilian.

Viele Angehörige, die zu DDR-Zeiten in einem Familienbetrieb gearbeitet haben, waren für das Alter gar nicht abgesichert. Kerstin Kögel, die seit 40 Jahren bei der Industrie - und Handelskammer Halle-Dessau (IHK) arbeitet, kennt viele solche Fälle. Sie schildert den eines Gewerbetreibenden, bei dem die Schwiegertochter beschäftigt war. Nein, eine Rentenversicherung hatte er für sie nicht abgeschlossen. Schlimmer noch, er hat die Frau darüber nicht einmal informiert. Sie wiegte sich in Sicherheit. Als sie das entsprechende Alter erreicht hatte, sei sie platt gewesen, dass sie kaum Rentenansprüche hat.

Doch warum haben viele Selbstständige nicht für ihre Angehörigen vorgesorgt? Nun, sie mussten die Altersvorsorge für ihre Angehörigen selbst in die Hand nehmen. Seit den 50er Jahren konnten diese freiwillig versichert werden. Für Selbstständige, Freiberufler und gegebenenfalls für deren Angehörige war die Deutsche Versicherungsanstalt zuständig, die neben der Sozialversicherung existierte. Viele haben das aber nicht getan. "Aus Sparsamkeitsgründen", sagt Kerstin Kögel. Man wollte Geld sparen für andere betriebliche Ausgaben." Die Ernüchterung sei dann mit dem Rentenalter gekommen. Allerdings, nach DDR-Recht wurden die Jahre im Familienbetrieb rentenwirksam, das heißt, als versicherungspflichtige Zeiten gewertet. Nach einer Übergangszeit hat das Rentenüberleitungsgesetz, welches das Rentenrecht der DDR mit dem der Bundesrepublik zusammenführte und das am 1. Januar 1992 in Kraft trat, dies gekippt. Diese Regelung hatte im System einer beitragsfinanzierten Rente keinen Platz mehr.

"Aber", so sagt Kerstin Kögel, "selbst wenn jemand rentenversichert war, habe es derart niedrige Bemessungsgrenzen gegeben, dass die Ansprüche, die sich daraus ergeben, gering sind." Viele ältere Gewerbetreibende seien bis heute im Dienst, weil sie sich sonst finanziell nicht über Wasser halten könnten.

Christa Maximilian empfindet ihre Situation als unwürdig. Sie hat deshalb Eingaben geschrieben und sich auch einmal an den Petitionsausschuss des Bundestages gewandt. Von dort bekam sie die lapidare Antwort: Ihr Mann hätte sie besser versichern sollen. "Doch wovon", fragt sie. Selbstständige waren in der DDR sozusagen ein Fremdkörper. "Wir waren Kapitalisten", so die Geschäftsfrau. Und die passten nicht ins Bild. Die wenigen, die sich dennoch behaupteten, hatten unter engen gesetzlichen Regelungen und vor allem unter einer hohen Steuerlast zu leiden. Deshalb war es für die meisten auch nicht einfach, zusätzlich zu dem, was steuerlich absetzbar war, Vorsorge zu treffen, etwa noch etwas in die Freiwillige Zusatzrentenversicherung zu stecken. Kerstin Kögel bestätigt das. "Der Staat hat für diese Bürger nicht gesorgt", sagt sie. Die seien geduldet worden und hätten es schon sehr schwer gehabt. So habe beispielsweise kein Selbstständiger für einen mithelfenden Ehepartner einen ordentlichen Arbeitsvertrag abschließen können. Selbstständige habe es auch nicht in den Größenordnungen wie heute gegeben, sagt die IHK-Geschäftsstellenleiterin, die in Sangerhausen für den Kreis Mansfeld-Südharz zuständig ist. "In den Kreisen Eisleben, Hettstedt, Sangerhausen und Artern habe es ganze 400 selbstständige Gewerbetreibende gegeben. Jetzt habe die IHK im Landkreis Mansfeld-Südharz 6 000 Mitgliedsfirmen (siehe auch Grafik).

Christa Maximilian sagt: "Wäre ich Kindergärtnerin geblieben, ich wäre bei der Rente besser gefahren." Und doch bereut das Ehepaar nicht, den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt zu haben. "Ich wollte mein eigener Herr sein", erklärt der heute 83-jährige Benno Maximilian. "Trotz aller Schwierigkeiten."

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