Regierungsflieger Regierungsflieger: Alarm im Jet von Angela Merkel

Köln/MZ - Volkan T. ist kein Terrorist. Der Mann, der am Abend des 25. Juli über das hoch gesicherte Militärgelände des Köln-Bonner Flughafens spazierte und im Cockpit des Regierungsfliegers von Angela Merkel sämtliche Knöpfe drückte, die er finden konnte, litt unter Liebeskummer. Der 24-Jährige hatte keinen konkreten Plan im Sinn, sondern nur seine Freundin, mit der er sich am Abend heftig gestritten hatte. Wenn der 24-Jährige ein Terrorist wäre, hätte er genug Zeit gehabt, den Kanzler-Jet zu entführen – erst nach 30 Minuten klemmten Feldjäger die Batterie des Airbus A319 ab. Der Sprit hätte für einen Nonstop-Flug nach Peking gereicht.
Eindringling im Cockpit
Ein Einsatzprotokoll der Bundespolizei, das der „Welt am Sonntag“ vorliegt, offenbart schwere Sicherheitsmängel auf dem Militärgelände. Nach dem Vorfall hieß es seitens der Luftwaffe Ende Juli zunächst, der 24-Jährige hätte die Maschine nicht starten können, da die geparkten Jets auf dem Gelände grundsätzlich nicht an die Stromversorgung angeschlossen seien. Das stellt sich nun anders dar. Mit entsprechenden Kenntnissen hätte Volkan T. genug Zeit gehabt, das Flugzeug zu starten. Oder er hätte es in die Luft sprengen können.
Um 21.28 Uhr wird Volkan T. zum ersten Mal im militärischen Teil des Flughafens bemerkt – und zwar „auf dem Luftfahrzeug der Bundeswehr“. Volkan T. ist über ein Triebwerk auf eine Tragfläche des Airbus geklettert. Um 21.34 Uhr ist er bereits in der Maschine. Volkan T. hatte einen Knopf für die Notentriegelung gedrückt. Die Tür öffnete sich und die Notrutschen wurden aktiviert.
Der 24-Jährige setzt sich ins Cockpit des 58 Millionen Euro teuren Fliegers und verschanzt sich dort. Im Protokoll steht: „Die Maschine wird von der Bundeswehr gesichert. Auf die Aufforderung, die Maschine zu verlassen, reagiert die Person nicht. Streife auf dem Weg zum Einsatzort“. Ein Ermittler sagte später, Volkan T. habe im Cockpit „wahllos alle Knöpfe gedrückt“. Dabei löste er um 21.40 Uhr einen Alarm aus, der beispielsweise bei einem Absturz aktiviert wird. Der Tower am Flughafen, die Piloten anderer Flugzeuge und die Leitstelle der Bundeswehr in Münster empfangen diesen Alarm. Volkan T. wird aber erst fast drei Stunden später festgenommen, um 0.23 Uhr.
Polizisten finden um 21.45 Uhr die Tasche des 24-Jährigen. Darin sind mehrere Ecstasy-Pillen und Marihuana. Obwohl Volkan T. unter Drogeneinfluss stand und „offenbar verwirrt war“, wie es später hieß, hatte ein Wachmann am Tor der Luftwaffenkaserne Wahn ihm nichts angemerkt und ihn auf das militärische Sperrgebiet gelassen. Volkan T. hatte ihm erzählt, dass er eine Hochzeit im Unteroffiziersheim plane und sich das Gelände schon einmal ansehen wolle. Privatleute können das Heim für Feste buchen.
Von dort aus muss der 24-Jährige über einen mit Stacheldraht gesicherten Zaun geklettert sein. Seine DNA-Spuren wurden später am Zaun entdeckt, der nur an einigen Stellen von Kameras überwacht wird. Offenbar waren die Sicherheitsstandards auf dem Gelände durch mehrere Baustellen beeinträchtigt. Wie die „Welt am Sonntag“ berichtet, waren wegen der Bauarbeiten auf dem Gelände Sensoren im Boden des Flugzeuges abgeschaltet, die eigentlich bei geringsten Vibrationen einen Alarm auslösen.
Flugzeug startbereit
Kurz nachdem am 25. Juli die Tasche des 24-Jährigen gefunden wird, ändert die Bundespolizei die Einsatzalarmstufe von 3 auf 1. Der Grund: „Die Maschine hat vermutlich fünf bis acht Tonnen Sprit an Bord“ – so steht es im Protokoll. „Die Bundeswehr kann nicht ausschließen, dass die Maschine gestartet werden kann.“ Alarmstufe 1 wird beispielsweise bei Geiselnahmen ausgerufen. Die Sicherheitskräfte scheinen die Lage also nun als sehr ernst einzustufen. Es ist 21.54 Uhr. Volkan T. wird trotz der erhöhten Alarmstufe noch zweieinhalb Stunden im Kanzler-Jet bleiben. In der Tasche finden die Beamten nicht nur Drogen, sondern auch einen Zettel mit dem vollen Namen und dem Geburtsdatum des Mannes.
Die Ermittler können so feststellen, dass Volkan T., der in Porz lebt, bisher strafrechtlich nicht auffällig war. Um 22.16 Uhr treffen laut Protokoll Feldjäger am Tatort ein. Drei Minuten später sorgen sie dafür, dass die Batterie des Flugzeugs abgeklemmt wird. Eigentlich müssen selbst auf Zivilflughäfen geparkte Flugzeuge so gesichert sein, dass niemand hinein gelangen kann. Auf dem Militärflughafen gelten noch strengere Vorschriften. Die Flugbereitschaft teilte nach Bekanntwerden des Vorfalls mit, dass der A319 verschlossen gewesen sei. Volkan T. brauchte aber nur einen Knopf drücken, um in die Maschine einsteigen zu können, die die Kanzlerin, der Bundespräsident oder die Bundesminister nutzen.
Zugriff mit Polizeihund
Zwölf Minuten, nachdem an jenem Abend die Feldjäger eintrafen, kommen Beamte der Landespolizei dazu. Was Volkan T. im Kanzlerflieger treibt, weiß kein Mensch. Es ist zwei Stunden her, dass er aufgefordert wurde, die Maschine zu verlassen. Mit einem Megafon versucht ein Polizist um 23.23 Uhr, Kontakt zu Volkan T. aufzunehmen. Doch der 24-Jährige reagiert nicht. Er ist mittlerweile im hinteren Teil des Airbus. Hier gibt es ein Privatbüro, einen Konferenzbereich und ein Abteil mit 32 Sitzplätzen für Delegationen. Die Zeit vergeht. Gegen Mitternacht kommen Hundeführer dazu. Dann geht plötzlich alles ganz schnell: Ein Beamter jagt seinen Hund über eine Treppe in den hinteren Bereich des Flugzeugs. Der Schäferhund beißt Volkan T. in den Unterschenkel. Im Protokoll steht: „0.23 Uhr: Die Person wurde festgenommen.“
Volkan T. wurde in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht. Der Regierungsflieger ist inzwischen wieder im Einsatz.