Reform der Rechtschreibung Reform der Rechtschreibung: Nur wenige Kilometer trennen den «Fluß» vom «Fluss»

Ulm/Neu-Ulm/dpa. - Denn Baden-Württemberg will, wie 13 andere deutsche Bundesländerauch, zum 1. August die «unstrittigen» Teile der neuenRechtschreibung verbindlich einführen - Bayern nicht. Wenn Andreas dann im kommenden Schuljahr «Stängel» oder «aufwändig» mit «e» schreibt, muss ihm der Lehrer das als Fehler anstreichen. «Das ist alles ein Witz. Ich schreibe sowieso nur noch gefühlsmäßig», sagt Andreas.
Während Politiker noch über Sinn und Unsinn der Reformdiskutieren, kichern die Schüler schon, wenn das Wort Reform fällt. «Blöd», «peinlich» und «lächerlich» glucksen sie in sich hinein. Sie verstehen nicht, warum sie weniger Meter weiter anders schreiben dürfen, als sie es in der Schule lernen. «Das ist doch ungerecht, wir kriegen jetzt viel mehr Fehler als die in Neu-Ulm», ärgert sich ein Mädchen aus der zwölften Klasse. Eine Freundin fügt hinzu: «Was ist, wenn sich die Bayern jetzt in Baden-Württemberg bewerben und lauter Fehler machen?»
Verwirrung herrscht nicht nur auf dem Schulhof. Im Lehrerzimmersitzen die Deutschlehrer und rätseln, wie es nun weiter geht. «Es ist ein höllisches Durcheinander», sagt Barbara Jeremias. Ihre Kollegin Martina Lutz nickt: «Bildungshoheit der Länder hin oder her, mir kommt das vor wie ein Schildbürgerstreich.» Die Reform nehme auf diese Weise keiner ihrer Kollegen mehr ernst. Vom Ministerium gebe es zudem keine Anleitung, was wohl mit «unstrittigen Teilen» gemeint ist. «Wir erfahren eigentlich alles erst aus der Presse.»
Und die, die den Schülern das Regelwerk beibringen müssen, sindselbst nicht immer firm in der Sache. «Bei mir sind die alten Regeln drin, die bekomme ich gar nicht mehr raus», gesteht Lutz. Mit mehreren Ausgaben des Duden sitze sie beim Korrigieren. Und im Unterricht würden sie oft gerade die jungen Schüler auf Fehler hinweisen. «Das ist mir dann schon etwas peinlich.» Bei der Korrektur von Rechtschreibfehlern will sie auch nach den Sommerferien weiter wie bisher verfahren - großzügig. «Diese Fehler machen eh nicht viel vom Gesamtbild aus. Wichtiger ist der Inhalt.»
Auch der Direktor der Schule beruhigt: «Es wird auch weiter eineToleranzphase geben. Einzelne Fehler führen noch nicht zuAbwertungen, unsere Abiturienten werden nicht benachteiligt», sagt Klaus-Michael Zinnecker. Man müsse schließlich die besondere Situation des Gymnasiums am «Grenzzaun» beachten. Eine Flucht der Baden-Württemberger nach Bayern befürchtet Zinnecker nicht. Ein gebürtiger Ulmer Schüler kommentiert die Frage entgeistert: «Wer will denn schon nach Bayern?»

