1. MZ.de
  2. >
  3. Deutschland & Welt
  4. >
  5. Politik
  6. >
  7. Pro und Contra: Pro und Contra: Sollte die AfD vom Verfassungsschutz beobachtet werden?

Pro und Contra Pro und Contra: Sollte die AfD vom Verfassungsschutz beobachtet werden?

Von Margarethe Gallersdörfer und Stephan Hebel 03.09.2018, 16:28
Die Jugendorganisation der AfD schwenkt eine Flagge im August in Sachsen
Die Jugendorganisation der AfD schwenkt eine Flagge im August in Sachsen ZB

An ihren Worten sollt ihr sie erkennen

Von Margarethe Gallersdörfer

Spätestens seit den Ereignissen in Chemnitz, seit dem physischen Schulterschluss der Partei mit Pegida, sollte die Frage nicht mehr lauten, ob eine Beobachtung der AfD angezeigt sei. Sondern, wie lange wir noch warten wollen.

Wie lange akzeptieren wir noch, dass die AfD durch einen millionenschweren Verein unterstützt wird, über dessen Finanzierung sie Unwissen vorschützt? Wie oft sollen Forscher noch darauf hinweisen, dass Teile der AfD sich sprachlich bei den Nationalsozialisten bedienen? Wie lange nehmen wir noch hin, dass AfD-Abgeordnete über die „Herstellung von Mischvölkern“ schwadronieren, NS-Verbrechen relativieren, Verständnis für den Rechtsterroristen äußern und zur Lynchjustiz aufrufen?

Noch versucht die AfD, den extremsten Auswüchsen aus ihrer Mitte zumindest verbal etwas entgegenzusetzen. Doch wie glaubwürdig das ist, welche Strukturen sie im Inneren wirklich aufbaut, mit welchen Untergrundgruppen sie paktiert oder wem sie indirekt Steuergeld zukommen lässt, können die Behörden derzeit nur ahnen.

Wer weiß schon, ob nicht die Mehrheit der Partei so tickt wie ihre Kreistagsfraktion im Hochtaunuskreis? Die drohte jüngst auf Facebook: „Bei uns bekannten Revolutionen wurden irgendwann die Funkhäuser sowie die Presseverlage gestürmt und die Mitarbeiter auf die Straße gezerrt. Darüber sollten die Medienvertreter hierzulande einmal nachdenken, denn wenn die Stimmung endgültig kippt ist es zu spät!“

Wer garantiert angesichts der Fülle solcher Ausfälle dafür, dass die Distanzierung der Bundespartei glaubwürdig ist? Die Kriterien für die nachrichtendienstliche „Sammlung und Auswertung“ von Informationen über eine Partei oder ihre Teilgruppierungen sind zu Recht streng.

Und natürlich kann und soll eine Beobachtung durch Verfassungsschützer nicht dazu dienen, die AfD politisch einzudämmen. Eine Beobachtung soll die AfD politisch auch dort nicht behindern, wo sie auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bleibt.

Die Bundesrepublik ist aber nicht nur freiheitlich-demokratisch konstruiert, sondern auch wehrhaft. Chemnitz reicht als Fingerzeig: Die AfD hat viele Gesichter, und nicht alle zeigt sie offen. Wenn innerhalb der Partei und der mit ihr verbundenen Organisationen Bestrebungen entstanden sind, die verdeckt oder offen gegen unsere Verfassung arbeiten, müssen wir das wissen. Jetzt. Ob die AfD das will oder nicht.

Hier lesen Sie die Contra-Meinung

Lieber selbst hinschauen

Von Stephan Hebel

Ja, die AfD ist eine gefährliche Partei. Sie bildet ein Scharnier zwischen Nationalkonservatismus und Rechtsextremismus, und die ethnisch saubere Gesellschaft, die sie quer über alle Flügel anstrebt, muss alle freiheitlich denkenden Demokraten mit Grauen erfüllen.

Das alles wussten wir schon, bevor AfD-Leute in Chemnitz mit noch radikaleren Rassisten auf die Straße gingen. Und auch die Forderungen, der Verfassungsschutz solle die Partei beobachten, sind weder neu, noch sind sie seit Chemnitz sinnvoller geworden.

Der Reflex ist verständlich: Warum soll der Staat dem rechten Treiben zuschauen? Könnte nicht eine offiziell eingeleitete Beobachtung den einen oder anderen Mitläufer zum Nachdenken bringen? Und könnte sie nicht gar die Vorstufe sein zu einem Verbot dieser Partei? Verständlich, wie gesagt. Aber ist das Ziel, eine gefährliche politische Kraft unschädlich zu machen, wirklich auf diese Weise zu erreichen? Dafür spricht wenig bis nichts.

Die AfD ist Partei gewordener Ausdruck jener menschenverachtenden Denkmuster, die es auch schon vor ihrer Gründung in nennenswertem Ausmaß gab. Dass die rassistisch-nationalistische Ideologie es nun bis in den Bundestag geschafft hat und sich schamloser öffentlich artikuliert als früher, hat viele Gründe: das politisch verschuldete Schwinden gesellschaftlicher Bindekräfte und sozialer Sicherheit, das Verblassen historisch bedingter Tabus, auch die Möglichkeiten der neuen Medien.

​#htmlwidget

Welcher dieser Entwicklungen soll man, bitte sehr, mit Spitzeln und Spionage-Software beikommen können? Und wer sogar auf ein Verbot spekuliert, sollte sich klarmachen: Das dumpfdeutsche Denken kann man nicht verbieten. Man kann es (und die Funktionäre, die damit Unzufriedene einsammeln) nur unermüdlich bekämpfen. Aus der Gesellschaft heraus und nicht mit staatlicher Repression – Straftaten ausgenommen.

Die Regeln für die Beobachtung von Parteien (und erst recht für ein Verbot) sind aus guten Gründen streng. Sie setzen enge Grenzen, weil die weit gefasste Freiheit zur organisierten politischen Betätigung ein zentraler Bestandteil des demokratischen Rechtsstaats ist.

Diese Freiheit sollten wir nutzen, um der AfD so mächtig wie möglich entgegenzutreten, und von dieser Aufgabe droht der Ruf nach staatlicher Beobachtung eher abzulenken. Solange es eine Chance gibt, die AfD mit Erfolg politisch zu bekämpfen, ist der Ruf nach dem Staat ein Ausdruck von Schwäche.

Es kommt hinzu, dass sich der Verfassungsschutz bisher nicht gerade als Virtuose im Bekämpfen rechter und rechtsextremer Strömungen erwiesen hat – das gescheiterte (und ebenfalls fragwürdige) NPD-Verbot sowie der NSU-Terror lassen grüßen. Wer dieses Versagen (oder auch die Beobachtung der Linken) damals mit Recht verurteilt hat, sollte den Kampf gegen rechts jetzt nicht vorschnell an denselben Geheimdienst abtreten.