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"Prediger ohne Gesicht"  "Prediger ohne Gesicht" : Hassprediger Abu Walaa in Celle vor Gericht

Von Markus Decker 26.09.2017, 13:13
Hassprediger Abu Walaa muss mit bis zu sehn Jahren haft rechnen.
Hassprediger Abu Walaa muss mit bis zu sehn Jahren haft rechnen. dpa

Celle - Vor dem Oberlandesgericht im niedersächsischen Celle hat am Dienstag der Prozess gegen den mutmaßlichen früheren Chef-Anwerber der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) in Deutschland begonnen.

Abu Walaa gilt als Nummer eins des IS in Deutschland

Der auch als Abu Walaa bekannte Ahmad Abdulaziz Abdullah A. und vier Mittäter sind angeklagt, ein radikalislamisches Netzwerk gebildet und die Ausreise von Dschihadisten in das IS-Gebiet im Nahen Osten organisiert zu haben.

Abu Walaa soll laut Anklage direkten Kontakt zur IS-Führungsriege unterhalten haben und muss sich unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen Terrorvereinigung sowie Terrorfinanzierung verantworten. Er gilt unter Experten als Nummer eins des IS in Deutschland.

Stark gesicherter Prozess

Der Prozess wird voraussichtlich bis mindestens Januar 2018 dauern, wahrscheinlich jedoch länger. Über 70 Zeugen und Sachverständige könnten aussagen. Das OLG direkt in der Celler Altstadt wurde zu Prozessbeginn stark gesichert. Polizisten mit Maschinenpistolen und Schutzwesten bewachten das Gebäude und liefen Streife. Der Prozess selbst fand in einem Sicherheitssaal statt.

Der heute 33-jährige Prediger kam 2001 aus dem nordirakischen Kirkuk nach Deutschland und stellte einen Asylantrag. Papiere besaß er nicht. Später gründete er im niedersächsischen Hildesheim den so genannten Deutschsprachigen Islamkreis Hildesheim und lebte ansonsten mit zwei Frauen und sieben Kindern unter anderem im nordrhein-westfälischen Tönisvorst bei Krefeld. 

Abu Walaa sendete 15 Männer in das Kalifat

Nach und nach und mit Hilfe eines V-Mannes kamen die Ermittler darauf, dass Abu Walaa ein weit verzweigtes Netzwerk unterhielt, junge Männer für den Heiligen Krieg begeistert und Ausreisen nach Syrien und in den Irak organisiert haben soll. So bewegte sich der Attentäter vom Breitscheidplatz, Anis Amri, ebenso in dessen Netzwerk wie die beiden Minderjährigen, die ebenfalls 2016 einen Anschlag auf einen Sikh-Tempel in Essen verübten.

Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden durchliefen mindestens 15 Männer aus Niedersachsen und neun aus Nordrhein-Westfalen Abu Walaas Schmiede und reisten in das mittlerweile zerfallene selbst ernannte Kalifat des IS. Mindestens sechs von ihnen sind tot.

Kronzeuge lebt im Zeugenschutz

Insgesamt wurde die Zahl der Ausreiser zuletzt mit 940 angegeben. Kronzeuge im Prozess ist der ehemalige Medizinstudent Anil O. aus Gelsenkirchen. Er fuhr ins IS-Gebiet, kehrte desillusioniert heim, sagte aus und belastete Abu Walaa dabei schwer.

Neben Abu Walaa, der Anil O. zufolge auch selbst im IS-Gebiet gewesen sein soll, stehen seine Mitstreiter Boban S. und Hasan C. sowie zwei weitere Komplizen vor Gericht. Die offene Frage ist, für valide das Gericht die Aussagen von Anil O. hält, der mit einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren für seine dschihadistischen Aktivitäten glimpflich davon kam und aus Angst vor Rache sowie staatlich betreut im Verborgenen lebt.

Es fehlt an Beweisen

Das Nachrichten-Magazin Der Spiegel zitierte Abu Walaas Anwalt Peter Krieger mit den Worten: „Der Kronzeuge ist ein Hochstapler. Die Anklage beruht auf seinen Lügen.“ Zwar sind die gegen den Hauptangeklagten sprechenden Indizien, was seine allgemeinen islamistischen Bestrebungen angeht, erdrückend.

Im Konkreten fehlt es indes an Beweisen für terroristische Aktivitäten und deren Unterstützung – auch weil Abu Walaa darauf achtete, dass Gespräche nicht von Handys aufgezeichnet werden konnten. In Propagandavideos ließ er sich nur von hinten filmen und trug so den Namen „Prediger ohne Gesicht“.

Bis zu zehn Jahre Haft

Vom Verlauf des Prozesses wird abhängen, wie lange Abu Walaa ins Gefängnis muss. Erst kürzlich verurteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf den Salafistenprediger Sven Lau zu fünf Jahren und sechs Monaten Haft. Die Angeklagten von Celle müssen mit zehn Jahren Haft rechnen.