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Porträt der AfD-Chefin Frauke Petry Porträt der AfD-Chefin Frauke Petry: Die junge Zornige formt sich ihre AfD

Von Bernhard Honnigfort 19.07.2015, 13:49

Berlin - Solche Abende gibt es wohl nur in Dresden. „Die zornigen alten Männer und die Politik“ nennt sich die Veranstaltung, eine von vielen in der sächsischen Landeshauptstadt, die dazu dienen, das wütende Volk einmal in geordneten Bahnen schimpfen zu lassen. Frank Richter hat eingeladen, der Leiter der Landeszentrale für politische Bildung. Sein Haus ist seit Pegida, seit bald einem Jahr also, zur volkstherapeutischen Einrichtung geworden und leistet Entwicklungshilfe in Gesprächskultur. Über 500 Briefe und Mails hat Richter allein im letzten halben Jahr bekommen. Dabei hat er festgestellt, dass viele Absender „zornige alte Männer“ sind.

Also hat er welche eingeladen und nun sind sie da und schimpfen über ungesteuerte Zuwanderung, einseitige Berichterstattung, die Ukraine-Krise, die USA, den Islam. Ein paar Politiker sind auch dabei, sie sollen den zornigen alten Männern antworten. Ein voller Saal, es ist schwülwarm, es geht hoch her. Frauke Petry von der AfD sitzt in der ersten Reihe. Es ist ihr erster öffentlicher Termin nach dem großen Knall auf dem Parteitag in Essen. Sie wirkt wie immer: angespannt und abgekämpft, aber aufmerksam.

Sie macht nicht viel. Routiniert hält sie ihre kleine Standardrede zur Asylpolitik: Man müsse genau hinschauen. Da Deutschland kein Einwanderungsgesetz hat, versuchten es alle über das Asylgesetz. Nun ja, das könne sie sogar gut verstehen. Und dann noch ein typischer Petry: Wer im Landtag nicht dem Mainstream entspreche, der werde schnell als Rassist diffamiert. So etwas gefällt den zornigen alten Männern, Petry ist eine Meisterin im Aussprechen gefühlter Wahrheiten, heftig applaudieren sie der zornigen jungen Frau. Man versteht sich, gleiche Wellenlänge. Als der Grünenpolitiker spricht, macht einer eine Handbewegung, als wolle er ihn abknallen.

Frauke Petry wirkt gerade, als sei sie in ein großes Loch gefallen. Ratlos und abwartend, was wohl noch passiert. Vor zwei Wochen hat sie ihren größten Sieg errungen und Bernd Lucke an der Spitze der AfD abgelöst, besser gesagt: abgeräumt. Seitdem ist Wirrwarr.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Was von der Lucke-AfD noch übrig ist.

Es war eine öffentliche Demütigung des VWL-Professors aus Winsen an der Luhe, der vor bald drei Jahren die Alternative für Deutschland als euroskeptische Bewegung mitgegründet hatte. Als die Schlacht in Essen geschlagen, als Frauke Petry mit 60 Prozent neue Parteivorsitzende war, als der Saal den Verlierer verhöhnt und niedergebrüllt hatte, das standen sie auf der Bühne: Der eine mit Tränen in den Augen, die andere, als könnte sie ihr schadenfrohes Grinsen nur mit allergrößter Not niederhalten.

Sie konnten sich sowieso nicht ausstehen. Kein Lächeln, kein Gruß, kein nettes Wort, nur tiefe Abneigung. Frauke Petry, beinhart und mit spitzen Ellenbogen, hat auf ganzer Linie gewonnen, aber was der Sieg bedeutet, weiß sie wahrscheinlich selbst gerade nicht. Was für einer Partei sie nun eigentlich vorsteht, muss sich erst zeigen. Einem ausländerfeindlichen schimpfenden Haufen? Einer nationalkonservativen Resterampe? Einer neuen Ostpartei? Dem politischen Arm von Pegida und ähnlichen Wutmenschen-Bewegungen? Was ist die aktuelle AfD nun? Sie weiß es vermutlich ebenfalls nicht. Trotzig sagt sie, wenn man sie danach fragt, es sei die „Partei des gesunden Menschenverstandes“.

Petrys hässlicher, brutaler Sieg

Durchgebissen, oben angekommen, ein Durcheinander angerichtet. Kein Problem, sie weiß dennoch, was zu tun ist, sie ist Chemikerin. Nun muss sie abwarten, bis sich die aufgeregten und aufgewirbelten Teilchen am Boden absetzen, bis sich die einen von den anderen scheiden. Dann sieht man, was von der alten Lucke-AfD übrig ist.

Frauke Petry hat einen Sieg errungen, deutlich zwar, aber nicht strahlend und schön, sondern hässlich, brutal, verbissen und verletzend. Eine Sieg, der erst einmal verheilen muss.

Frauke Petry macht erst seit zwei Jahren Politik. „Die Chefin stillt im Büro“, hieß einmal eine Reportage über sie. Sie stand 2011 im Magazin Öko-Test und erzählte von einer 36-jährigen Mutter und Unternehmerin, die Firma, Familie und Haushalt unter einen Hut kriegen musste. Und deshalb den kleinen Tobias, Kind Nummer vier, im Büro stillte.

Petry ist in Dresden geboren, in Schwarzheide in Brandenburg groß geworden, als 14-Jährige mit der Familie nach Bergkamen in den Westen gezogen. Einser-Abitur, dann Chemie-Studium in Göttingen und in England, Magna cum laude, Promotion.

Ihr alter Lehrer aus Bergkamen erzählte im „Spiegel“, sie sei eine Traumschülerin gewesen, die Beste in einem sehr guten Chemie-Leistungskurs. „Eine Zwei war eine Niederlage. Und mit Niederlagen konnte sie nie gut umgehen.“

Lesen Sie auf der nächsten Seite: So gelang Frauke Petry der Aufstieg in der AfD.

2007 gründet Frauke Petry PURinvent, eine Firma, die umweltfreundlichen Füllstoff für die Reifen von Radladern und Traktoren herstellt. Keine schlechte Idee, ihre Mutter Renate, auch Chemikerin, hat das Material erfunden. Es macht die Räder fast unkaputtbar und ist aus nachwachsenden Rohstoffen gemixt. Frauke Petry, mit Sven verheiratet, ihrem alten Schulfreund, heute Pfarrer, vier Kinder, ist damit zur sächsischen Vorzeigeunternehmerin aufgestiegen. So eine wünscht man sich im Land: Ein Vorbild, eine Mutmacherin. Sie wird mit Preisen ausgezeichnet, sie bekommt 2012 eine Verdienstmedaille vom Bundespräsidenten für „besondere Courage und Tatkraft im Bereich Forschung und Entwicklung“.

Und kurz darauf geht ihre Firma den Bach runter. Irgendwie ging es doch zu schnell. Sie muss Insolvenz anmelden.

Schlecht fürs Unternehmen, gut für die AfD

Während die Unternehmerin Petry abstürzt, steigt sie in die Politik ein – und dort schnell auf. Sie meldet sich beim Vorläufer der AfD, der „Wahlalternative 2013“- und ist in Nullkommanichts die Landesbeauftragte der neuen Bewegung in Sachsen. Sie kann organisieren, sie kann Befehle erteilen, sie kann sich durchsetzen, sie kann arbeiten wie ein Pferd, sie kann einen Laden auf Trab bringen. Was sie macht, macht sie ganz und gar.

Wenn es sie packt, dann schimpft sie flott los. Und es gibt so viel, was sie wurmt. Es geht gegen Windanlagen, gegen Genderwahn, die 68er im Westen, die Frühsexualisierung, die Grünen, dann für Braunkohle, für Familien, für Kinder, für ein Europa der Vaterländer, für mehr Polizei.

Meinungsforscher geben der neuen AfD durchaus Chancen. Der Parteitag in Essen war wohl nicht der Anfang vom Ende, sondern vielleicht der Anfang von etwas Neuem. „Die AfD wird sich nach Luckes Abgang nicht marginalisieren“, meint Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen. Ihr Fundament im Protestmilieu sei stark. Und nicht nur in Ostdeutschland, auch in westdeutschen kleinbürgerlichen Kreisen habe eine rechtere Petry-AfD noch Chancen, gewählt zu werden.

Frauke Petry hat da vermutlich die allerwenigsten Zweifel. Sie nennt sich selbst „genetisch ehrgeizig“. Neue Ziele müssen her. Das nächste, sagte sie kürzlich, sei der Bundestag 2017 - und irgendwann natürlich in der Regierung sitzen.

Sie meint so etwas ernst, sie arbeitet daran. Sie ist erst 40.