Politik und Humor Politik und Humor: Debatte über Steinbrücks Interview ohne Worte

Berlin/MZ - Da ist er also wieder, der Klartext-Peer. Der Mann, der seine Parteifreunde einmal als Heulsusen beschimpfte. Und der die Kavallerie in die Steueroase Schweiz schicken wollte. „Pannen-Peer, Problem-Peer, Peerlusconi – um nette Spitznamen müssen Sie sich keine Sorgen machen, oder?“, provozierte ihn das Magazin der „Süddeutschen Zeitung“, verbunden mit der Aufforderung: „Sagen Sie jetzt nichts“. In der Fotoserie darf man nur mit Mimik und Gesten antworten. Steinbrück zeigt den ausgestreckten linken Mittelfinger.
Damit hat der müde Bundestagswahlkampf endlich ein Thema gefunden. Es lautet: „Darf der das?“ Natürlich nicht, findet FDP-Chef Philipp Rösler: „So etwas geht nicht.“ Auch die CDU hebt den Zeigefinger: Die Geste zeige, dass Steinbrück für den Kanzler-Job „charakterlich nur eingeschränkt geeignet“ sei, meint Finanz-Staatssekretär Steffen Kampeter. Die grüne Kirchenfrau Katrin Göring-Eckardt ist pikiert: „Meine Form wäre das nicht.“
Autogramme oder Kritik
Das provokante Steinbrück-Bild polarisiert. Als der SPD-Kanzlerkandidat am Freitag am Kölner Flughafen landet, bitten ihn Fremde, den Magazintitel zu signieren. Im Städtchen Monheim in seinem Wahlkreis steigt ein Radfahrer vom Gefährt, zeigt dem Politiker den Stinkefinger und sagt grinsend: „Cool, man!“ Auf der anderen Seite finden professionelle Kommentatoren, Steinbrück habe den zuletzt positiven Dreh seiner Kampagne zerstört und sich für das angestrebte Amt disqualifiziert.
Nirgendwo tobt die Debatte so wie im Internet. Die Geste festige das Bild vom arroganten Macker und werde Steinbrück vor allem bei Frauen Stimmen kosten, moniert etwa Juliane Leopold früh bei Zeit-Online. „Wenn Peer Steinbrück sich für den Stinkefinger nicht (!) entschuldigt, wähle ich SPD!“, hält die Moderatorin Katrin Bauernfeind bei Twitter dagegen. So zieht sich das durch tausende Tweets. Die einen finden den Auftritt ironisch, souverän und locker. Die anderen sind entsetzt oder empört. Überall kursieren Verfremdungen und Montagen des Fotos. Eine Serie zeigt Merkels potenzielle Antworten auf die Fragen des SZ-Magazins: Sechs Mal bilden ihre Hände eine Raute. Zumindest in Teilen der Netzgemeinde ist Steinbrück auf dem Weg zur Kultfigur.
Doch das Netz ist nicht die Welt. In Steinbrücks Partei, der SPD, herrscht anfangs Entsetzen. Rolf Kleine, der Pressesprecher des Kanzlerkandidaten, hatte am Ende der Fotosession noch gegen das Motiv protestiert. Aber Steinbrück selbst erklärte: „Nein, das ist okay so.“ Dass die Stinkefinger-Aufnahme auf dem Titelbild des Magazins landen würde, konnte er da freilich nicht wissen. „Ich hätte es nicht gemacht“, räumt ein Strippenzieher der Partei ein. Auch anderswo herrscht Fassungslosigkeit. „Peer Steinbrück hat in einem ironischen Interview auf ironische Weise Emotionen gezeigt“, schickt SPD-Chef Sigmar Gabriel noch eilig eine Erklärung hinterher.
Am Freitag sind die Genossen etwas beruhigter. Die Bild-Zeitung hat nicht die befürchtete Schlagzeile „Steinbrück beleidigt die Deutschen“ gebracht. Und bei den Anrufern am Bürgertelefon im Willy-Brandt-Haus halten sich Pro und Kontra etwa die Waage.
Olle Kamellen
Derweil lässt Steinbrück selbst twittern: „Klartext braucht nicht immer Worte - zum Beispiel wenn man ständig auf olle Kamellen, statt auf wirklich wichtige Fragen angesprochen wird.“ Die ollen Kamellen liefern einen wichtigen Hinweis auf Steinbrücks Motivation für die Geste. Die wochenlange Berichterstattung über seine vermeintlichen oder tatsächlichen Pannen vom Kanzlergehalt über das „Eierlikörgate“ bis zum Pinot Grigio hat ihn verärgert und auch verletzt. Irgendwann hat er beschlossen, um seine Ehre zu kämpfen.
Seither zieht die Kampagne an. Die Umfragewerte zeigen nach oben. Steinbrück hat Lust am Wahlkampf. Er will es allen zeigen. Insofern ist seine Geste kein Zeichen von Resignation, sondern von überschießendem Testosteron: Ihr könnt mich mal! Nach dem Showdown schaltete Steinbrück einen Gang zurück: „Ich hoffe, dass die Republik auch den Humor hat, diese Grimassen und diese Gebärdensprache bezogen auf die Fragen richtig zu verstehen.“
Kritik von Riexinger und Bahr
Scharfe Kritik kam vom Vorsitzenden der Linkspartei. „Franz Müntefering hat die Wähler erst nach der Wahl beschimpft, Steinbrück macht es schon vorher“, sagte Bernd Riexinger der MZ. „Das war das offizielle Ende der Kanzlerkandidatur von Peer Steinbrück.“ Dieser bereite offensichtlich bereits seinen Abgang vor. Die SPD spiele nicht mehr auf Sieg, sondern nur noch auf Platz. Der ehemalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering hatte Nichtwähler einst „arrogant“ genannt.
Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) meinte bei Twitter: „Das kann doch wohl nicht der Stil eines Bundeskanzlers sein.“ FDP-Chef Philipp Rösler sagte: „Die Geste verbietet sich als Kanzlerkandidat. So etwas geht nicht.“ Steinbrück selbst meinte via Twitter: „Klartext braucht nicht immer Worte. Zum Beispiel wenn man ständig auf olle Kamellen, statt auf wirklich wichtige Fragen angesprochen wird.“ Wiederholt hatte er kritisiert, ob das Land nicht wichtigere Probleme habe, als aufgeregte Debatten über angebliche Fehltritte von ihm.