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Pisa-Studie Pisa-Studie: Kinder mit ausländischen Wurzeln fühlen sich in der Schule nicht zugehörig

Von Tobias Peter 19.03.2018, 17:15
Pisa steht für die weltweit wichtigste Schulvergleichsstudie
Pisa steht für die weltweit wichtigste Schulvergleichsstudie dpa

Berlin - Es gibt Zeugnisse, die auf den ersten Blick gut oder zumindest ordentlich aussehen. Gelegentlich werden aber größere Probleme sichtbar, wenn man noch mal genauer hinschaut.

Deutschland habe das Jammertal verlassen, befand OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher bei der Vorstellung der Pisa-Studie vor etwas mehr als einem Jahr. Das deutsche Bildungssystem schnitt in dem internationalen Vergleich zwar immer noch weit schlechter ab als Spitzenreiter wie Singapur und Finnland, aber lieferte Testergebnisse leicht über dem OECD-Durchschnitt. Ein erkennbarer Fortschritt nach dem katastrophalen Abschneiden bei der Pisa-Studie im Jahr 2001.

Jetzt liefern Schleicher und seine Kollegen eine umfangreiche Sonderauswertung der Pisa-Daten zur Frage, wie erfolgreich Mädchen und Jungen mit Migrationshintergrund abschneiden. Das Ergebnis ist beunruhigend: In Deutschland liegt der Anteil der 15-Jährigen mit sehr schwachen Leistungen unter den Schülern mit Migrationshintergrund bei 43 Prozent – und er ist damit fast zweieinhalb Mal so groß wie bei der Gruppe der Schüler ohne ausländische Wurzeln. Im OECD-Schnitt liegt das Verhältnis bei 1 zu 1,7. Es ist also nicht ausgeglichen, aber besser als in Deutschland.

Flüchtlinge spielen in der Auswertung keine Rolle

„Es ist alarmierend, dass in der EU Schüler mit Migrationshintergrund deutlich häufiger an grundlegenden Aufgaben in Naturwissenschaften, Lesen und Mathematik scheitern“, warnt Gabriela Ramos von der OECD. Neben Deutschland werden beispielsweise auch Österreich und Schweden als Problemfälle genannt.

Als Schüler mit Migrationshintergrund werden in der neuen Datenauswertung nicht nur die gezählt, die selbst im Ausland geboren worden sind, sondern alle, die mindestens ein Elternteil haben, das aus dem Ausland kommt. Es geht also um Migranten erster und zweiter Generation. In Deutschland sind dies laut der Erhebung 28 Prozent der Schüler.

Die große Zahl an Flüchtlingen, die ab dem Sommer 2015 nach Deutschland gekommen ist, spielt in der Auswertung noch keine Rolle. Erstmals veröffentlicht wurde die aktuelle Pisa-Studie im Dezember 2016. Erhoben wurden die nun noch einmal intensiver durchforsteten Daten – wie bei so großen Studien nicht ungewöhnlich – allerdings bereits im Jahr zuvor. An Pisa teilnehmen darf nur, wer mindestens ein Jahr lang eine Schule im Land besucht hat.

Ob Zuhause Deutsch gesprochen wird, spielt eine große Rolle

Aber ist bei den schlechten Pisa-Werten der Schüler mit Migrationshintergrund der Faktor Zuwanderung überhaupt ausschlaggebend? Oder schneiden diese Schüler schlechter ab, weil sie häufiger aus bildungsfernen Familien und eher einfachen wirtschaftlichen Verhältnissen kommen? Die Antwort lautet: Beides ist richtig. Zu etwas mehr als einem Fünftel lassen sich die schlechten Ergebnisse der Migranten mit sozialen Faktoren erklären. Es gilt also: Auch dann, wenn man den sozialen Hintergrund berücksichtigt, gibt es unter den Kindern mit ausländischen Wurzeln einen deutlich größeren Anteil leistungsschwacher Schüler.

Die Wahrscheinlichkeit trotz schwieriger sozialer Startbedingungen erfolgreich zu lernen nimmt spürbar ab, wenn zu Hause nicht die Unterrichtssprache gesprochen wird. Dies trifft in Deutschland auf knapp 80 Prozent der Migranten erster Generation zu – im OECD-Schnitt sind es weniger, nämlich rund 60 Prozent. Auch bei den Migranten zweiter Generation spricht fast die Hälfte zu Hause nicht Deutsch. Hinzu kommt bekanntermaßen, dass in Deutschland die Zuwandererkinder häufig in großer Zahl dieselben Schulen besuchen.

Ehrgeiz vieler Migranten bleibt zu oft ungenutzt

Eine weitere Erkenntnis aus der Sonderauswertung: In Deutschland gibt es bei der Integration von Migranten ins Bildungssystem ein generelles Problem – und nicht eines, das in erster Linie an bestimmte Herkunftsländer gekoppelt ist. Schüler, die in der Türkei geboren wurden, haben ein ähnlich hohes Risiko, schlecht abzuschneiden, wie Schüler aus Polen.

Bei der diesmaligen Pisa-Studie wurden die Schüler nicht nur getestet, sondern zusätzlich befragt, ob sie sich in der Lebenswelt Schule gut aufgehoben fühlen. Die ernüchternde Erkenntnis: Schüler mit Migrationshintergrund haben häufiger als andere das Gefühl, in der Schule nicht dazuzugehören. Einerseits ist unter Migranten die Angst vor der Schule stärker verbreitet, andererseits sind sie – vermutlich gerade aufgrund ihrer biografischen Situation – im Schnitt stärker motiviert. Das gilt in Deutschland wie in anderen OECD-Ländern. Gerade im Aufstiegsehrgeiz von Migranten liegt also ein Potenzial, das bislang zu oft ungenutzt bleibt.