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Philosoph Carlo Strenger über "Breaking the Silence" Philosoph Carlo Strenger über "Breaking the Silence": "Man tut so als seien Kassam-Raketen eine Kleinigkeit"

Von Thomas Geisen 18.06.2015, 14:52

Köln - Herr Strenger, erst die Absage, dann die Neutermininierung von  „Breaking the Silence“ – ist das  Duckmäusertum oder  Rücksichtnahme?

Also, ich bin jetzt nicht bei irgendwelchen Absprachen in Köln oder Berlin dabei gewesen – und  eines vorweg: Ich sehe in „Breaking the Silence“ eine sehr demokratische und positive Organisation, die Israelis wie auch das Ausland über Details informieren will, die normalerweise nicht an die Öffentlichkeit kommen. Mein Problem aber: In Europa und den USA wird sehr viel über israelische Menschenrechtsverletzungen geschrieben, diskutiert – was ich übrigens auch selber hier in Israel und in Europa, zum Beispiel in der „Neuen Zürcher Zeitung“  selber tue. Was mich allerdings bedrückt ist, dass die Berichterstattung langsam einseitig wird. Man könnte den Eindruck gewinnen, hier würde Belgien Luxemburg bombardieren… 

Carlo Strenger, in Basel geboren und aufgewachsen, ist Professor für Psychologie und Philosophie an der Uni Tel Aviv, wo er als Psychoanalytiker praktiziert.

...  also Ihnen fehlen Hinweise auf die palästinensischen Menschenrechtsverletzungen?

Genau. Man tut oft so, als seien  die Kassam-Raketen der Hamas so eine Kleinigkeit, die nicht ins Gewicht fallen, und berichtet kaum darüber, dass Hamas diese Raketen aus von Zivilbevölkerung bewohnten Quartieren abfeuert, und somit die Zivilbevölkerung als Schutzschild missbraucht. Das ist  auch eine Menschenrechtsverletzung und bringt  die israelische Armee in unmögliche Situationen.

Kritik an Einseitigkeit

Sie haben in Ihrem Buch „Zivilisierte Verachtung“ der Political Correctness eine Absage erteilt, dieser Hasenfüßigkeit,  weshalb man auf jegliche Stellungnahme  verzichtet. Fehlte der Stadt Köln der Mut, den Staat Israel zu kritisieren?

Ich kenne der Kölner Oberbürgermeister nicht und weiß nicht, wie mutig er ist. Aber eine solche Ausstellung als ein Element der Feiern zur Aufnahme diplomatischer Beziehung, ist sicher unglücklich. Was für mich  noch schwieriger geworden ist, dass es zur Political Correctness in manchen Kreisen gehört, die Palästinenser nur und ausschließlich als Opfer darzustellen, die der aggressiven Supermacht Israel gegenüber stehen. Um nicht missverstanden zu werden: Ich habe Netanjahus Regierungen ständig scharf kritisiert.  Man wird aber der Situation hier vor Ort nicht gerecht, wenn man es stets als einen Kampf David gegen Goliath darstellt. Das führt zu einer Einseitigkeit, wie sie bei aller Berechtigung in „Breaking the Silence“ zum Ausdruck kommt.

Aber war  die Absage hier in Köln nicht doch auch eine Form von Political Correctness und Einseitigkeit?

Da gibt es natürlich hochkomplexe Verflechtungen und ich verstehe, dass deutsche Politiker sich gehemmt fühlen, klarere Positionen gegenüber Israel einzunehmen und ich glaube, dass man hier langsam aus deutscher Sicht durchaus zu einem freundschaftlich-kritischen Ton übergehen könnte. Aber noch einmal:  Zu „Breaking the Silence“ gehören für mich unabdingbar der Hinweis und die Dokumentation der Verbrechen der Hamas dazu.  Wenn ich denn Kritik üben dürfte, dann die, dass man im ersten Anlauf  nicht a priori beide Seiten ins Konzept einbezogen hat.

„In Deutschland findet man oft die große Angst, dass man jemanden kränkt“

Gehört es nicht zur Meinungsfreiheit, dass man einseitig sein darf.

Wie Sie wissen, ist eines meiner Grundprinzipien das der verantwortlichen Meinungsbildung. Einseitigkeit kann nicht verboten werden, muss aber scharf kritisiert werden. Es stimmt, in Europa, speziell auch in Deutschland findet man oft die große Angst, dass man jemanden kränkt, verletzt

Sie als  Verfechter der Meinungsfreiheit sehen jedoch Grenzen in der Berichterstattung über Israel?

Ich sehe nicht den geringsten Unterschied zwischen Berichterstattung über Israel oder andere Staaten und Situationen: Berichterstattung kann verantwortlich, präzise und ausgeglichen sein - oder unfair, ungenau und täuschend. Das hat nichts mit Political Correctness, sondern mit intellektueller und moralischer Integrität zu tun.

Das Gespräch führte Thomas Geisen