Partei Partei: Piraten nehmen Kurs auf Bundestagswahl 2013
Neumünster/MZ. - Auch Matthias Rarbach hat es geschafft. Seit Sonntag ist er Mitglied einer ganz besonderen Arbeitsgruppe der Piratenpartei: Er ist ein anerkannter dicker Pirat. Vor der Holstenhalle in Neumünster hat sich der gewichtige bärtige Mann aus Hagen in Nordrhein-Westfalen wiegen lassen, während drinnen die rund 1 500 Teilnehmer des Bundesparteitages einen neuen politischen Geschäftsführer wählen und die elf Kandidaten durchgehen. Rarbach ist draußen auf eine Wippe gestiegen, auf der anderen Seite ein anerkannt dicker "Referenzpirat". Es reicht aus, das Brett neigt sich langsam nach unten: Hurra, ein Neumitglied. Jetzt gehört er dazu, darf das T-Shirt "AG Dicke Piraten" tragen und gönnt sich erst einmal einen Hotdog. Wie viel er wiegt: "Das wird nicht verraten."
Währenddessen rennt Bernd Schlömer durch die Halle und erklärt jedem, was er als neuer Parteivorsitzender alles machen oder nicht machen will. Der 41-jährige Kriminologe und Regierungsdirektor im Bundesverteidigungsministerium wirkt sehr entspannt. "Piraten müssen nicht auf alles eine Antwort haben", kontert er Journalistenfragen nach der Lückenhaftigkeit ihrer Politik. "Wir bilden Schwerpunkte. Die Wahlen in Berlin und im Saarland haben gezeigt, dass die Menschen damit zufrieden sind. Es reicht doch." Akademischer soll die Piratenpolitik werden, erzählt er noch, die Leute seien doch schlau genug.
Seit Samstag ist er Piratenchef. Weißes Hemd, grauer Schal, Schiebermütze, breites Lächeln. "Mir geht es gut, ich bin glücklich", rief er von der Bühne herab. Acht Kandidaten waren ins Rennen gezogen, darunter Sebastian Nerz, der bisherige Amtsinhaber aus Tübingen. Am Ende liegt Schlömer deutlich vorn: Zwei Drittel aller Stimmen für ihn, 922 von 1 393. Klare Sache. "Ich nehme die Wahl an. Ich denke, wir werden viel erreichen", verspricht er seiner Partei.
Nun ist er der Kapitän der neuen Boom-Partei und wird gleich nach der Koalitionsfähigkeit der Piraten gefragt. Als würden die Bäume in den Himmel wachsen. "Step by step", sagt Schlömer. Erst einmal die Wahl in Schleswig-Holstein gewinnen, dann Nordrhein-Westfalen. Im Moment stelle sich die Frage doch noch gar nicht. Dass sie allerdings auch nächstes Jahr in den Bundestag einziehen, daran zweifelt sowieso keiner der Piraten in der Holstenhalle.
Das kommt an. Auch in einer Partei, die nur sachlich und rational Politik betreiben möchte. Schlömer ist jemand für die Rampe, ein Darsteller, einer der zum Darling werden könnte, kamera- und statementtauglich. So wie die Profis der politischen Konkurrenz. Nur eben ein Pirat.
Das ist nicht unproblematisch, denn die Partei, die nur Dienstleister für gute Ideen sein will, mag keine Leute, die herausragen, wie auch immer. Personenkult ist noch undenkbar bei der 2006 in Berlin gegründeten Partei, die im Moment scheinbar ungebremst durch die Decke schießt und mehr als 27 000 Mitglieder hat.
Schlömers Weg ist also eine Gratwanderung. Er muss die neue Bewegung im bundesrepublikanischen Parteiensystem etablieren und wird dabei erleben, wie sie in weitere Landtage einzieht und dort nach parlamentarischen Spielregeln arbeiten muss. Der Erfolg wird sie verändern und er muss dafür sorgen, dass sie sich nicht zu weit professionalisiert und von ihrer Basis entfernt, die in großen Teilen immer noch keinen medial gewandten Chef möchte, sondern eine Art Hausmeister, der sich im Verborgenen um den Laden kümmert. "Nur, was die Partei sagt, ist das, was aus meinem Mund kommt", hatte es ein Kandidat für den Vorsitz genannt. Er fiel zwar durch, bekam aber eine Menge Applaus.
Die Wahl am Samstagnachmittag musste kurz unterbrochen werden. Die Piraten mussten noch einmal laut und deutlich klarmachen, dass sie mit Rechtsradikalen nichts zu schaffen haben wollen. Der Grund dafür war ein Pirat aus Niedersachsen, der angeblich nichts gegen Holocaust-Leugner hat und - so hieß es am Nachmittag - angeblich für den Vorstand kandidieren wollte.
Aber die Piraten nahmen die Kurve elegant. Mit lautem Applaus distanzierten sich die knapp 1 500 Anwesenden von Rechtsradikalismus und Fremdenhass und ließen alle zweifelhaften Kandidaten durchfallen. Ganz so, als wollten sie es auch der Linkspartei zeigen: Die Linke hatte in Neumünster um die Holstenhalle herum Plakate aufgehängt und an die unglücklichen Eskapaden der Piraten aus den vergangenen Monaten angeknüpft: "Keine Stimme den Nazis - egal, unter welcher Flagge sie auch segeln."
Ansonsten gingen die Piraten nicht ins Eingemachte, organisatorisch bleiben sie sich treu. Der Vorstand wird nur leicht erweitert, ein Hilfsgremium, das zuarbeiten sollte, nicht installiert. Die Amtszeit bleibt auf ein Jahr begrenzt - und ein Gehalt für Spitzenpiraten wird es auch nicht geben. "Man muss wahnsinnig, profilneurotisch, größenwahnsinnig sein, wenn man hier ein Amt im Vorstand übernimmt", sagte eine Piratin - und meinte das gar nicht negativ.
Seit Sonntagmittag haben die Piraten auch einen Nachfolger für Marina Weisband, die politische Geschäftsführerin. Die 24-Jährige Psychologiestudentin aus Münster, bundesweit die bekannteste Piratin, macht jetzt Pause von der Politik und heiratet. Johannes Ponader, 35, freier Schauspieler und Regisseur aus Berlin, übernimmt jetzt ihren Job.