Pädophilie im Berlin der 70er Jahre Pädophilie im Berlin der 70er Jahre: Sexueller Missbrauch in staatlichem Auftrag

In der Debatte um pädophile Netzwerke wird es jetzt auch für den Berliner Senat ungemütlich. Am Wochenende ploppte ein Fall aus den 70er Jahren wieder hoch. Damals hatte die Senatsjugendverwaltung drei obdachlose Jugendliche bei verurteilten Kinderschändern in Obhut gegeben. Dabei hat es sich nicht um ein Versehen gehandelt, sondern um ein regelrechtes Experiment.
Schon einmal war dieser Fall vor zwei Jahren öffentlich diskutiert worden. In zahlreichen Tages- und Wochenzeitungen, darunter auch die Berliner Zeitung, war detailliert berichtet worden. Nur die betroffene Behörde hat seitdem wenig zur Aufklärung beigetragen. Das will Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD) jetzt nachholen.
Sex als Teil des Konzepts
Es waren drei Straßenkinder, die der renommierte Sexualwissenschaftler Helmut Kentler 1969 für ein pädagogisches Modellprojekt benutzte. Darunter ein 13-Jähriger, abgehauen aus einem Kinderheim, dann Stricher am Bahnhof Zoo, wie die Tageszeitung „taz“ vor zwei Jahren schrieb. Die Jungen wurden von Kentler bei drei wegen sexuellen Übergriffen auf Minderjährige vorbestraften Hausmeistern in Pflege gegeben. Dass die pädophilen Betreuer mit ihren Zöglingen Sex haben würden, gehörte zum Konzept.
Das Ganze war keineswegs geheim. Die Pflegestellen waren mit Genehmigung der Senatsjugendverwaltung eingerichtet worden. Die Männer erhielten Pflegegeld. Ein Einverständnis staatlicher Stellen muss also wohl vorausgesetzt werden. 1988 erteilte die damalige Berliner Jugendsenatorin Cornelia Schmalz-Jacobsen (FDP) eben jenem Helmut Kentler den Auftrag, in einem Gutachten die Eignung Homosexueller als Pflegeeltern zu beurteilen. Ganz konkret ging es darum, das Menschenexperiment zu schildern und auszuwerten, was dabei herausgekommen war.
Wirft Fragen auf
„Mir war klar, dass die drei Männer vor allem darum so viel für ’ihren’ Jungen taten, weil sie mit ihm ein sexuelles Verhältnis hatten. Sie übten aber keinerlei Zwang auf die Jungen aus, und ich achtete bei meiner Supervision besonders darauf, dass sich die Jungen nicht unter Druck gesetzt fühlten“, schreibt Kentler in dem Senatsgutachten.
Die Berliner Morgenpost hat das alte Gutachten nun im Schwulen Museum in Tiergarten aufgestöbert und in ihrer Wochenendausgabe darüber berichtet. Seitdem gibt es eine Debatte. Politiker der Koalitionsfraktionen von SPD und CDU haben eine umfassende Aufklärung der Vorkommnisse um Jugendliche gefordert, die zu Pädophilen geschickt wurden.
„Hier liegen Hinweise auf dem Tisch, die eine ganze Menge Fragen aufwerfen“, sagte Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD). „Zum einen ist es nun wichtig, eine angemessene Form zu finden, in der wir zu einer Beantwortung dieser Fragen beitragen können. Zum anderen muss es darum gehen, dass Menschen, die als Kinder oder Jugendliche Opfer sexueller Gewalt geworden sind, mit ihrem Leid nicht alleine dastehen und Unterstützung erhalten“, sagte Scheeres.