Ost-West-Dialog Ost-West-Dialog: Was Geheimdienste über sich wussten

Leipzig/MZ. - "Geschichte im Ost-West-Dialog - Was die Geheimdienstevoneinander wussten", lautet die Überschrift,unter der Deutschlandfunk, Leipziger Volkszeitungund das Zeitgeschichtliche Forum in Leipzigdie früheren Kontrahenten zum Streitgesprächluden. Völlig nüchtern und ohne Scham konstatiertder 64-jährige Hellenbroich: "Wir wusstenweniger über die Stasi, als die über uns."Aber nicht weil man "lauter Schlafmützen"in den Reihen des BND gehabt habe, rechtfertigtsich Hellenbroich, sondern auf Grund der "objektivenStrukturen". "Wir waren eben an die Achtungder Bürgerrechte gebunden und hatten Kontrollinstanzen,während das MfS als Instrument der Diktaturnur gegenüber wenigen Machthabern gegenüberverpflichtet gewesen war." Zudem verweistHellenbroich auf die drakonischen Strafen,die im Osten entdeckten Agenten drohten. "20Jahre Bautzen für das Ablesen einer Klingelleiste- da überlegt man schon, ob man noch einmaljemanden damit beauftragt."
Markus Wolf hat für die Einschätzung seinesGegenübers nur ein trockenes Lachen übrig.Das sei nichts weiter als ein "Schwarz-Weiß-Bild",ein "Klischee". Seine "erfolgreichsten Kundschafter",so argumentiert der langjährige Chef der Stasi-HauptverwaltungAufklärung (HVA), hätten sich aus "eigenerEinsicht heraus dem MfS angeschlossen." Dashabe doch nichts mit den Begründungen Hellenbroichszu tun, sagt der 78-Jährige und verweist aufRegierungsdirektorin Gabriele Gast, die WolfsHVA über das Geschehen beim BND ins Bildesetzte oder Klaus Kuron, einem für die Spionageabwehrzuständigen Mitarbeiter Hellenbroichs.
Und dann holt Wolf zum Schlag gegen den einstigenBND-Chef Klaus Kinkel aus: "Die Gründe fürdas Versagen des BND waren nicht im Rechtsstaatbegründet, sondern in dessem dilettantischenHandeln unter Klaus Kinkel." Der Bundesnachrichtendiensthabe damals seine Leute in der DDR regelrecht"verheizt" wirft Wolf den Westgeheimdienstlernunter Verweis auf das "tragische Schicksal"des Stasi-Mitarbeiters Baumann vor. Der vonKinkel zur Chefsache erklärte Fall sei beider Stasi aufgeflogen, "weil man die uns bekanntenGeheimadressen weiter nutzte", so Wolf. Andieser Stelle greift der Moderator des Streitgesprächs,der Journalist und Historiker Karl WilhelmFricke, schließlich ein. "Wir sollten hiernicht über Leute reden, die sich nicht wehrenkönnen."
Nicht richtig wehren können sich auch einigeder Diskussions-Zuhörer, als Wolf beginnt,sein "differenziertes Bild" vom Stasi-Apparatzu zeichnen. Denn während des vom Deutschlandfunklive übertragenen Streitgesprächs konnte mannicht zwischenfragen. Und so gibt Wolf mitBlick auf seine HVA zu Protokoll: "Man solltenicht alle Stasi-Mitarbeiter zum Prügelknabender Nation machen. Denn nicht alle haben sichmit Repression oder Verhaftung von Leutenbeschäftigt." Moderator Fricke, 1955 von derStasi nach Ost-Berlin verschleppt und wegen"Boykotthetze" zu vier Jahren Haft verurteilt,versucht den "Eindruck von der sauberen HVA-Truppe"zu kontern. So erinnert er an den HVA-ÜberläuferWerner Teske, der 1981 in Leipzig hingerichtetwurde. Doch für Wolf ist das "ein Fall, vondem wir nichts gewusst haben".
Nun lächelt Heribert Hellenbroich still vorsich hin, der Wolf nach eigenem Bekunden "nieals Feind, sondern immer als Gegner" angesehenhat. Und das obgleich ihm selbst ein Agenten-Überläufernach wenigen Wochen Amtszeit den Job kostete:Nämlich als Hans-Joachim Tiedge, zuständigfür die Spionage-Abwehr beim BND, 1985 indie DDR türmte. "Das war schon bitter", räumtHellenbroich ein. Aber vielleicht wirkenja jene Erkenntnisse tröstend, die die HVAüber den langjährigen Verfassungsschützerund kurzzeitigen BND-Chef gesammelt hatten:"Er war ein Vorgesetzter, dessen fachlicheQualifikation geschätzt wurde, sagt MarkusWolf.