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Öffentliche Moral Öffentliche Moral: Die Guten leben länger

13.05.2011, 17:59

BERLIN/MZ. - Klein ist der Autor des Buches "Vom Sinn des Gebens. Warum Selbstlosigkeit in der Evolution siegt und wir mit Egoismus nicht weiterkommen". Mit ihm sprach unser Korrespondent Stefan Sauer.

Herr Klein, sind die jüngsten Plagiatsfälle um Karl-Theodor zu Guttenberg und Silvana Koch-Mehrin geeignet, die öffentliche Moral zu untergraben?

Klein: Es hätte die Menschen in ihrer moralischen Standfestigkeit ganz gewiss verunsichert, wenn Herr zu Guttenberg oder Frau Koch-Mehrin einfach davon gekommen wären. Das sind sie aber nicht. Es war wichtig, dass diese Personen sich zum Rücktritt gezwungen sahen. Und es zeigt, dass unsere Gesellschaft moralisch eben nicht so verlottert ist, dass die Öffentlichkeit es Personen in Spitzenämtern ohne weiteres durchgehen lässt, wenn sie lügen und betrügen. Das empfinde ich als ermutigend, als Stärkung der öffentlichen Moral: Lügner haben schlechtere Karten. In Italien ist das anders, Berlusconi kann weiter machen, was er will, seine durchaus zahlreichen Kritiker resignieren, die öffentliche Moral ist im Eimer. Was den Fall zu Guttenberg allerdings besonders brisant macht: Er war ein Vorbild und ist es für manche noch immer.

Ein schlechtes Vorbild ist dann doch fatal.

Klein: Wir wissen aus zahlreichen Untersuchungen, dass Verhalten in extremem Maße kopiert wird, und zwar vor allem dann, wenn es um uneigennütziges, kooperatives Verhalten geht. Man diskutiert ja schon seit Jahrhunderten darüber, ob der Mensch nun gut oder böse auf die Welt kommt. Heute wissen wir: Auf die meisten Menschen trifft weder das eine noch das andere zu, sondern es hängt ganz wesentlich vom sozialen Umfeld ab, ob Menschen Normen achten oder verletzen, ob sie sich altruistisch verhalten oder egoistisch.

Die Umwelt allein prägt den Menschen?

Klein: Nicht allein. Wir wissen aus Untersuchungen der experimentellen Ökonomie, dass ungefähr ein Fünftel der Menschen in allen Kulturen "unbedingte Altruisten" sind, die sich kooperativ und selbstlos verhalten, unabhängig davon, was die anderen tun. Etwa ein Viertel kann man als "reine Egoisten" bezeichnen, die nur nach dem eigenen Vorteil streben. Die ganz große Mehrheit aber, mehr als 55 Prozent der Bevölkerung, sind "bedingte Altruisten": Sie wollen moralisch und ehrlich handeln, sie sind bereit, solidarisch zu sein und zu teilen, aber sie wollen sich nicht ausnutzen lassen. Sie wollen als die Ehrlichen nicht die Dummen sein. Gerade darum ist es so wichtig, dass gesellschaftliche Vorbilder moralische Prinzipien einhalten.

Tun sie aber nicht. Ex-Postvorstandschef Klaus Zumwinkel hat Steuern hinterzogen, Finanzjongleure haben Milliarden auf Kosten kleiner Anleger verzockt.

Klein: Aber gerade der Fall Zumwinkel führte vor Augen, dass Unehrlichkeit sich nicht auszahlt. Die Staatsanwaltschaft hat ein Exempel statuiert und ihn vor laufenden Kameras aus seinem Haus abgeführt. Was die Persönlichkeitsrechte von Herrn Zumwinkel angeht, war das hart an der Grenze, aber für die allgemeine Steuermoral war es sicher gut.

Bei Firmenpleiten und in der Finanzkrise kamen die Verantwortlichen aber meist straflos davon und erhielten oft noch Millionenabfindungen. Der kleine Mann bleibt ratlos zurück und zahlt die Zeche.

Klein: So etwas führt natürlich zu einem Reputationsverlust ganzer Branchen und Berufsgruppen. Und dazu, dass die in unserer Gesellschaft herrschende Vorstellung von Gerechtigkeit unterminiert wird. Insbesondere die Idee der Leistungsgerechtigkeit, dass also hohe Einkommen an große Leistungen geknüpft sein müssen, ist durch die Finanzkrise eindrucksvoll widerlegt worden. Das kann in einer moralischen Krise münden.

Was ist dagegen zu tun?

Klein: Wir müssen das Wissen verbreiten, dass Kooperation und Fairness sich langfristig für alle auszahlen. In unserer Gesellschaft ist jeder auf die Zusammenarbeit der anderen angewiesen. Die Bereitschaft der anderen, mit mir zusammen zu arbeiten, hängt wesentlich von meinem Ruf, von meiner Reputation ab. Die Reputation wiederum erwerbe ich mir durch mein konkretes Verhalten. Bin ich ehrlich? Handele ich moralisch einwandfrei? Ebay ist ein gutes Beispiel dafür, dass so etwas auch zwischen Personen funktioniert, die sich persönlich nie im Leben begegnen.

Das klingt aber sehr materialistisch.

Klein: Es geht nicht nur um Wohlstand. Aus sozioökonomischen Daten wissen wir, dass Menschen die sich für andere engagieren, zufriedener mit ihrem Leben sind und seltener unter Depressionen leiden, als solche, die sich nur um eigene Belange kümmern. Längsschnittstudien mit 8 000 Teilnehmern haben gezeigt, dass Altruisten sogar länger leben als Egoisten. Gut zu anderen zu sein, ist schlicht vernünftig.