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Europa rüstet auf Nuklearer Schutzschirm: Scholz lässt Macron abblitzen

CDU-Chef Merz zeigt Interesse an einem europäischen Nuklearschirm. Frankreichs Präsident nimmt das dankend auf. Und der scheidende Kanzler Scholz? Er bleibt skeptisch.

Von Michael Fischer, Katharina Redanz, Stella Venohr, Marek Majewsky, Sarah Knorr, Jan Freybott, dpa Aktualisiert: 06.03.2025, 16:20
Für Deutschland reiste Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zum EU-Gipfel nach Belgien.
Für Deutschland reiste Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zum EU-Gipfel nach Belgien. Omar Havana/AP/dpa

Brüssel - Der scheidende Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich zurückhaltend zu den Überlegungen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron geäußert, europäische Verbündete mit französischen Atomwaffen zu schützen. Beim EU-Gipfel in Brüssel beantwortete der SPD-Politiker eine Journalistenfrage danach mit dem Hinweis auf die bestehende nukleare Abschreckung der Nato, die auf den Atomwaffen der USA basiert und an der Deutschland beteiligt ist. „Und ich glaube, das soll nicht aufgegeben werden, ist die gemeinsame Auffassung aller zentralen Parteien in Deutschland.“

Zuvor hatte Macron als Reaktion auf den Kurswechsel in der US-Außenpolitik unter Präsident Donald Trump seine Überlegungen zu einer gemeinsamen nuklearen Abschreckung bekräftigt. Er hatte dabei an eine Aussage des potenziellen Nachfolgers von Scholz - CDU-Chef Friedrich Merz - angeknüpft. „Als Antwort auf den historischen Aufruf des zukünftigen deutschen Kanzlers habe ich beschlossen, die strategische Debatte über den Schutz unserer Verbündeten auf dem europäischen Kontinent durch unsere Abschreckung zu eröffnen.“ Die Entscheidungshoheit über einen Einsatz will er aber alleine bei Frankreich belassen.

Merz hatte kurz vor der Bundestagswahl im ZDF gesagt, man müsse mit den europäischen Atommächten Großbritannien und Frankreich über nukleare Zusammenarbeit reden. Die Frage einer größeren nuklearen Unabhängigkeit Europas sei in der Fachwelt schon seit Jahren Thema. „Nur sie ist leider in der politischen Welt bis heute nicht ausreichend diskutiert worden.“

Noch etwa 100 US-Atombomben in Europa stationiert

Erforderlich wären vermutlich riesige Investitionen, weil die britischen und französischen Atomwaffen derzeit nur eine Art nationale Ergänzung zur US-Abschreckung über die Nato waren. Die USA haben Expertenschätzungen zufolge noch etwa 100 Atombomben in Europa stationiert - einige davon sollen auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel lagern. Im Ernstfall sollen sie von Kampfjets der Bundeswehr eingesetzt werden. Auch in Belgien, den Niederlanden, Italien und in der Türkei sollen noch US-Atombomben stationiert sein. Offizielle Angaben gibt es dazu nicht.

Seit dem Amtsantritt Trumps wachsen die Zweifel daran, dass sich die Europäer noch auf den Schutz der USA verlassen können. Macron hatte Deutschland und anderen EU-Partnern bereits 2020 während der ersten Amtszeit des US-Präsidenten Gespräche über eine europäische Kooperation bei der atomaren Abschreckung angeboten. Bei der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) stieß er aber zunächst auf genauso wenig Resonanz wie bei Scholz.

Der „Spiegel“ berichtet jetzt allerdings, dass es seit mehr als einem Jahr „einen strukturierten strategischen Dialog“ der Bundesregierung mit Großbritannien und Frankreich unter anderem über nukleare Abschreckung gebe, an dem seit April 2024 die Sicherheitsberater der Staats- und Regierungschefs beteiligt sind. Scholz bestätigte solche Gespräche zwar. „Es bleibt aber trotzdem dabei, dass wir uns gemeinsam dem Nato-Konzept verpflichtet fühlen und das ist Ihnen bekannt und das ist auch im Interesse der gemeinsamen Sicherheit in Europa“, fügte er hinzu. 

Merz auch in Brüssel - aber nicht beim Gipfel

Macron setzt nun darauf, dass er mit Merz einen echten Verbündeten für seine Idee findet. Der war am Donnerstag ebenfalls in Brüssel - aber nur zum Treffen der konservativen Staats- und Regierungschefs sowie Parteivorsitzenden vor dem Gipfel. Er äußerte sich nicht öffentlich. 

Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk begrüßte den Vorstoß Macrons. „Wir müssen diesen Vorschlag ernsthaft in Betracht ziehen, denn es muss eine unserer Prioritäten sein, alle unsere Fähigkeiten in Europa zu koordinieren und wirklich eine gut koordinierte Streitmacht aufzubauen“, sagte er. Auch der litauische Präsident Gitanas Nausėda sprach von einer „sehr interessanten Idee“, an die man „hohe Erwartungen“ habe. 

Der Gedemütigte wird mit offenen Armen empfangen 

Die Reaktion auf Trump ist das zentrale Thema des Sondergipfels in Brüssel, zu dem auch Wolodymyr Selenskyj anreiste. Der zuletzt bei seinem Besuch im Weißen Haus gedemütigte ukrainische Präsident wurde in Brüssel mit offenen Armen empfangen. 

„Dies ist ein entscheidender Moment für Europa“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Europa sieht sich einer klaren und gegenwärtigen Gefahr gegenüber, und deshalb muss Europa in der Lage sein, sich selbst zu schützen, sich zu verteidigen, so wie wir die Ukraine in die Lage versetzen müssen, sich selbst zu schützen.“ 

Von der Leyens 800-Milliarden-Plan

Bei dem Sondertreffen der EU-Spitzen wird unter anderem über eine mögliche Erhöhung europäischer Verteidigungsausgaben beraten. Von der Leyens EU-Kommission hat dafür einen Plan präsentiert und hofft, dass er beim EU-Gipfel die notwendige Zustimmung bekommt. Mit mehreren Maßnahmen könnten insgesamt fast 800 Milliarden Euro mobilisiert werden, hofft von der Leyen. Für viele Regierungen stellt sich allerdings die Frage, woher das Geld dafür kommen soll.

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban und sein slowakischer Kollege Robert Fico signalisierten vor dem Gipfel ihren Widerstand gegen eine gemeinsame Erklärung zugunsten der Ukraine. Beide befürworten Trumps Kurs im Ukraine-Konflikt und pflegen enge Beziehungen zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin.

Selenskyj: „Wir fühlen es“

Selenskyj bedankte sich in Brüssel dafür, dass die EU sein Land von Beginn des Kriegs an stark unterstützt habe. „Sie haben ein starkes Signal an das ukrainische Volk, an die ukrainischen Krieger, an die Zivilbevölkerung, an alle unsere Familien gesendet“, sagte er. „Wir sind sehr dankbar, dass wir nicht allein sind. Das sind nicht nur Worte. Wir fühlen es.“