Nordsee Nordsee: Im März 1952 wurde Helgoland wieder deutsch

Helgoland/dpa. - In den deutschen Stuben knackt das Radio, dieStimme von Bundeskanzler Konrad Adenauer ertönt im Rundfunk: «DerAufbau Helgolands ist eine Herzenssache des ganzen deutschen Volkes.Ohne Verzug werden Ingenieure und Techniker jetzt an die Arbeit gehenund den Boden für das kommende Aufbauwerk vorbereiten.» DerHelgoländer Olaf Ohlsen erinnert sich noch genau an jenen 1. März 1952, als die einzige deutsche Hochseeinsel von den Britenfreigegeben und wieder deutsch wurde.
Ohlsen ist als Vertreter der Helgoländer Jugend beim Übergabe-Fest dabei. An diesem Tag weht eine steife Brise, die Nordsee tobt und der Kapitän des Flugsicherungsbootes «Amigo» will wieder nach Cuxhaven umkehren. «Da übernimmt ein Helgoländer Fischer einfach das Ruder», plaudert Ohlsen. Man sitzt in der Kajüte zusammen, erzählt ausgiebig, Stullenpakete werden ausgepackt, Kaffee aus Thermoskannen wird getrunken. Die schwere See kann den Reisenden nichts anhaben. «Von Seekrankheit keine Spur», erinnert sich Ohlsen. Helgoland kommt in Sicht. Das Salz der Nordsee auf den Lippen, kreischende Möwen über dem Boot und der immer näher rückende rote Felsen. «Wir wollten nur eins: zurück», so Ohlsen.
Helgoland kehrt wie fünf Jahre danach das Saarland mit Verspätung in die deutschen Grenzen zurück. Die Insel war als strategischer Vorposten über Jahrhunderte ein Zankapfel im Kampf um dieVorherrschaft im Nordseeraum, schreibt Michael Herms in seinemBuch «Flaggenwechsel auf Helgoland» - auch Dänen und Britenherrschten hier zum Teil bis zu 100 Jahre lang. Im Zweiten Weltkriegwollten die Nazis im Rahmen des «Projekts Hummerschere» durchAufspülungen und Betonbauten einen riesigen Seehafen alsFlottenstützpunkt errichten, der im Notfall einen Großteil derReichskriegsflotte aufnehmen sollte.
Zum Ende des Kriegs ist die Insel durch Bombenangriffe unbewohnbarund die Menschen müssen sie verlassen. Sieben Jahre langbenutzen die Briten Helgoland dann als Bomben-Trainingsgelände - 1947führen sie die größte nicht-nukleare Sprengung durch («Big Bang»), umalle militärischen Anlagen zu zerstören. Doch wie die Helgoländererweist sich auch der rote Buntsandstein als störrisch, die Inselbleibt trotz der immensen Druckwelle erhaben in der Nordsee stehen.1952 ist Helgoland nur noch eine Ruinen-Landschaft. Während dieserZeit taufen die Soldaten der britischen Royal Air Force die Insel umin «Hell-go-land» das Land, das zur Hölle geht.
«An Gott und die Welt schrieb man», erzählt Ohlsen überkräftezehrende Jahre des Wartens. «Dass wir überhaupt zurück nachHelgoland konnten, haben wir auch dem Prinzen zu Löwenstein zuverdanken», betont er. Noch heute schwärmen die «Halunder» - sonennen sich die Helgoländer selbst - vom «Prinzen». Der Historikerund Journalist Hubertus zu Löwenstein nahm Kontakt zu britischenRegierungskreisen auf und setzte sich für eine Rückgabe ein.
Es war vor allem die von Löwenstein unterstützte Besetzungsaktionder Heidelberger Studenten Georg von Hatzfeld und René Leudesdorff,die Bewegung in die Helgoland-Frage brachte. Sie hissten Ende 1950auf der Insel die deutsche und die europäische Fahne. Die britischeRegierung geriet durch die schlagzeilenträchtige «Besetzung» unterDruck. Der Deutsche Bundestag forderte die Rückgabe der Insel.
Ein gutes Jahr nach der Besetzungsaktion übergaben die BritenHelgoland zum zweiten Mal an die Deutschen - beim ersten Mal hatteKaiser Wilhelm II. 1890 unter großem Brimborium mit Flaggenparade undKaiserbesuch Ansprüche auf ostafrikanische Gebiete und Sansibar gegenHelgoland eingetauscht.
Über Schutt und Geröll klettert der heute 73-jährige Ohlsen nachder Ankunft am 1. März 1952 auf das Helgoländer Unterland, nichts istmehr heil. Auf Ruinen stehen Sprüche wie «Hand in Hand - für einfreies Helgoland» oder «Die Toten mahnen - erkämpft den Frieden». ImHafen schöpft Ohlsens Vater Harry Taufwasser mit einer Kanne ab.Damit wird einen Tag später, am 2. März, Ohlsens Schwester Sigrid inder Cuxhavener Garnisonskirche getauft.
Während auf dem Festland der Wiederaufbau weit vorangeschrittenist, geht es nun für die Helgoländer erst richtig los. Bis vier Metertief liegen Granaten und Blindgänger. Jahrelang haben die mehr als2000 Helgoländer in Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen auf150 Orte verteilt gelebt. Nur einer ist all die Jahre auf dem einenQuadratkilometer großen Eiland verblieben - August Heinrich Hoffmannvon Fallersleben. Allerdings wird das am 1891 aufgestellte Denkmaldes Dichters und Denkers im Krieg beschädigt, nur der Kopf ist nochganz. 1841 - Helgoland war damals britisch - schrieb er auf Helgolandsein Deutschlandlied, dessen dritte Strophe deutsche Nationalhymneist.
Heute steht Fallersleben an der Landungsbrücke, bei Wind und Regenhasten Touristen mit Tüten voll zollfrei eingekaufter Waren an ihmvorbei. An eine Zukunft mit Jahrestourismuszahlen von fast einerMillion nur 20 Jahre später ist an diesem 1. März 1952 freilich nichtzu denken. Ohlsen hat einen Korb dabei, grün-rot-weiße Helgoland-Sträußchen liegen darin, auf jeden der kreuz und quer verteiltenGrabsteine im Oberland legt er einen davon. Dort oben erblickt er anjenem 1. März auch das einzige Gebäude, das all die britischenGranaten, Bomben und Sprengversuche überstanden hat: Derviereckige, 35 Meter hohe Flakleitstand aus dickstem Stahlbeton.
Seit der Rückgabe dient Helgolands höchstes und stabilstes Gebäudeals Leuchtturm. Der eckige Turm aus rotem Klinker steht in einersaftigen grünen Wiese kurz vor einer steil abragenden roten Klippeaus Buntsandstein. Er erinnert stets an den harten Neuanfang. «Schonkurios», sagt Ohlsen, «dass die Briten ausgerechnet den nicht kaputtgekriegt haben.» Für viele Helgoländer ist der Turm ein Symbol derwechselvollen Geschichte der Insel. Denn er wurde im Krieg zur Abwehrbritischer Luftangriffe gebaut - als indirekter Nachfolger eines vonder englischen Seezeichenverwaltung 1811 errichteten Leuchtturms.