Neue Stromtrassen Neue Stromtrassen: Warum viele Bürger sich dagegen wehren

Schalkau/MZ - Bei Andreas Höpfner haben die Häuser in 96528 Schalkau/Thüringer Wald keine Türen und Fenster. Man könnte das ändern, aber um Türen und Fenster geht es nicht. Es geht um Stromleitungen. Mit einem Klick kann Höpfner auf dem Bildschirm seines Laptops hier einen Hochspannungsmast in die Landschaft stellen und dort einen. Vielleicht noch einige Baume davor, damit man die Masten nicht sieht. So einfach ist das mit den Stromtrassen im Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung im Magdeburger Wissenschaftshafen.
Simulation am Rechner
Höpfner, 36, Architekt, hat mit Kollegen eine Software entwickelt, mit der sich Großprojekte simulieren lassen. Industriebauten. Oder Stromtrassen. Sie können zeigen, wie eine Leitung verlaufen muss, damit sie am wenigsten störend wirkt aus der Sicht derer, die sie vor Augen haben werden. Ob es einen Unterschied macht, ob ein Mast 50 Meter hoch ist oder 70. Ein Planungsinstrument, sagt Höpfner. Aber nicht nur: „Die Software hilft den Beteiligten, die Diskussion um die Stromtrassen sachlich zu führen.“ Die Bürger sollten sich informieren können. Höpfners Auftraggeber ist die Firma 50 Hertz, einer der vier großen Netzbetreiber.
Sachlichkeit und neue Stromtrassen - das sind oft zwei Welten. Landauf, landab laufen Bürgerinitiativen Sturm gegen den Aus- und Neubau von 5 600 Kilometer Leitungen, die im wesentlichen einen Zweck haben: Sie sollen in rund zehn Jahren Windstrom aus dem Norden, wo er entsteht, in den Süden bringen, wo er für die Industrie benötigt wird. So steht es im sogenannten Bundesbedarfsplangesetz. Die Initiativen sprechen von „Monstermasten“ und beklagen Landschaftsverschandelung.
Im echten Schalkau, 3 000 Einwohner, am Südhang des Thüringer Waldes, steht Margit Heinz auf ihrer Terrasse. Am Horizont fällt der Blick auf die Grümpental-Brücke der ICE-Strecke Nürnberg-Erfurt. „Direkt davor soll die Stromleitung verlaufen“, sagt die Tierärztin. Sie will das nicht. Und andere auch nicht. Seit Jahren kämpfen sie in einer Bürgerinitiative gegen die „Süd-West-Kuppelleitung“, so die offizielle Bezeichnung. Die 380-KV-Wechselstromtrasse kommt aus Bad Lauchstädt, bis nach Vieselbach bei Erfurt ist sie bereits in Betrieb. Bei Schalkau läuft das letzte Planungsverfahren (siehe Karte). Zwei Dutzend Aktive sind sie noch. Viele, sagt Heinz, hätten über die Jahre resigniert.
Man könnte einwenden, so schlimm sei das doch nicht mit der Leitung, weil die Eisenbahn-Brücke doch ohnehin die Landschaft verschandele. Es gehe aber nicht nur darum, sagt Margit Heinz, es gehe auch um 20 Hektar Wald, die gerodet werden müssten für die Stromtrasse, um 120 Meter breite Schneisen, um Masten, mehr als 70 Meter hoch.
Angst vor der Trasse
Harry Schubert, 65, nimmt einen Schluck Orangensaftschorle, dann tippt er mit dem rechten Zeigefinger auf den Tisch. „Hier ist mein Haus.“ Er zeigt ein Stück daneben, „hier ist die Grümpental-Brücke“. 400 Meter weg. „Und dazwischen“, noch einmal tippt er auf den Tisch, „würde die Stromleitung verlaufen.“ 140 Meter von seinem Grundstück entfernt. „Das macht Angst“, sagt er. „Wer weiß schon, welche gesundheitlichen Folgen das hat.“
Menschen wie Margit Heinz und Harry Schubert wird gerne unterstellt, sie seien gegen die Energiewende. „Schwachsinn!“, empört sich die Tierärztin. Energiewende ja, aber nicht so, das ist ihr Motto. Die technische Entwicklung sei über die Planungen für Stromautobahnen hinweggegangen. Jeder rede heute über sogenannte Smart Grids, intelligente Stromnetze. Und über dezentrale Versorgung. „Und hier wollen sie so eine Riesenleitung bauen.“ Dass die am Ende Windstrom in den Süden bringt, glaubt Margit Heinz nicht. „Durch die Leitung wird auch der dreckige Strom aus dem Osten fließen.“
Sie meint den Kohlestrom aus Mitteldeutschland und der Lausitz. Tatsächlich kommt der genauso wie Windstrom aus Nordostdeutschland dort an, wo die „Süd-West-Kuppelleitung“ anfängt - in Bad Lauchstädt. Die Stadt südlich von Halle ist ein Knotenpunkt im Stromnetz. Von dort soll auch eine zweite Stromautobahn nach Süden verlaufen, die „Strompassage Süd-Ost“. 450 Kilometer bis nach Meitingen bei Augsburg. Erstmals soll eine 500-KV-Gleichstromtrasse gebaut werden, bisher ist Wechselstromtechnologie üblich. Gleichstromtrassen sind leistungsfähiger, sie eignen sich gut für lange Distanzen.
Dirk Manthey findet nicht, dass beide in einen Topf gehören, die „Süd-West-Kuppelleitung“ und die „Strompassage Süd-Ost“. „Leitung ist nicht gleich Leitung.“ Manthey ist verantwortlich für die „Projektkommunikation“ beim Netzbetreiber 50 Hertz. Er muss viel erklären in diesen Wochen. Vor wütenden Bürgern, besorgten Kommunalpolitikern. Warum diese Trassen überhaupt notwendig sind. Wo sie genau verlaufen sollen. Wie das ist mit den elektromagnetischen Feldern. Er muss ein Produkt verkaufen, das diejenigen, vor denen er an vielen Abenden redet, nicht haben wollen. Und von dem sie nichts haben werden.
Gegen die Süd-Ost-Passage
Gegen die Süd-Ost-Passage regt sich mittlerweile auch in Sachsen-Anhalt Widerstand, nachdem eine Bürgerinitiative in Weißenfels auf das Projekt aufmerksam geworden ist. Dabei haben die Planungen gerade erst begonnen. Zwei Korridore sind abgesteckt, jeweils mehrere Kilometer breit, in denen die Leitung später verlaufen könnte - einmal entlang der A 9 nach Bayern, einmal entlang der bestehenden „Süd-West-Kuppelleitung“ Richtung Erfurt.
Was folgt ist ein Planungsverfahren mit mehreren Stufen, an deren Ende der genaue Trassenverlauf feststehen wird. Immer wieder werde das Projekt öffentlich diskutiert, versichert Manthey, hätten Bürger und Kommunen die Möglichkeit zu Einwänden. Das dauert. „Wir haben noch ein paar Jahre Zeit.“ Erst 2022 soll der Strom fließen.
Ein paar Grundregeln gibt es: So müssen Naturschutzgebiete berücksichtigt werden. Siedlungen dürfen nicht überspannt werden. Ein Mindestabstand zu Bebauung sei nicht vorgeschrieben, sagt Manthey. „100 bis 200 Meter, das ist für uns das Minimum.“ Ob sich das in dicht besiedelten Gebieten durchhalten lässt, wird sich zeigen. Weil die Planer erst angefangen haben, sind viele Details noch offen. Als das Projekt im vorigen Jahr erstmals vorgestellt wurde, war von 70 Meter hohen Masten und Mast-Abständen von 300 Metern die Rede. Doch sie wollen sich nicht festlegen bei 50 Hertz. Höhe und Abstand hingen von der Bauart der Masten und den topographischen Gegebenheiten ab. An der Mastform werde noch gearbeitet.
So viele Detailfragen. Dabei ist für viele die eine große Frage noch gar nicht beantwortet: Brauchen wir die neuen Stromtrassen überhaupt? Jetzt, wo der Bund den Windkraft-Ausbau deckeln will, um die steigenden Strompreise in den Griff zu bekommen? Wo Bayerns Regierungschef Horst Seehofer den Netzausbau in Frage stellt?
Bei 50 Hertz sehen sie es so: Wer den Netzausbau bremst, bremst die Energiewende. Die vom Bund geplante Obergrenze betrachtet Manthey als „theoretisch“. Übersteigt die Zusatz-Leistung neuer Windräder am Land 2,5 Gigawatt pro Jahr, soll die Förderung gekürzt werden. „Diese Grenze ist bisher in kaum einem Jahr überschritten worden.“ Bei 50 Hertz bestreiten sie nicht, dass auch Kohlestrom durch die neuen Leitungen fließen wird. Schließlich muss der ja irgendwohin. Nur, so Manthey, werde in Sachsen-Anhalt pro Jahr ein Gigawatt Kohlestrom produziert, aber 5,4 Gigawatt Windstrom. Diese Menge werde wachsen, also der Kohlestrom-Anteil sinken.
Klingt ganz einfach. Eigentlich. In Schalkau sind sie trotzdem skeptisch. Ute Hopf, 49, sitzt in ihrem Büro und schaut nachdenklich drein. „Ich habe das Gefühl“, sagt die Bürgermeisterin, „dass der Energiewende die Richtung fehlt. Wir sind aus der Atomkraft ausgestiegen, aber was kommt dann?“ Eine Antwort hat sie nicht. Neulich hat ihr ein Hausbesitzer erzählt von einer Familie mit zwei kleinen Kindern. Sie wollten sein Haus kaufen. Aber dann sprangen sie wieder ab, „weil sie mit dieser Leitung nicht leben wollen“.