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Neue Definition Neue Definition: Bundesregierung stuft Herero-Massaker als Völkermord ein

Von Steven Geyer 12.07.2016, 23:00
Vor dem Abmarsch in den Kampf gegen die aufständischen Hereros in Deutsch-Südwestafrika wird die 2. Marine-Feldkompanie eingesegnet. (Archivfoto von 1904)
Vor dem Abmarsch in den Kampf gegen die aufständischen Hereros in Deutsch-Südwestafrika wird die 2. Marine-Feldkompanie eingesegnet. (Archivfoto von 1904) dpa

Berlin - Die deutsche Regierung hat erstmals in einem offiziellen Dokument die Massaker an den Herero und Nama als Völkermord anerkannt. Diese zuvor von Deutschland vermiedene Einstufung der Ereignisse von 1904 bis 1908 im heutigen Namibia „spiegeln die Position der Bundesregierung wider“, antwortet sie auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag, die dieser Zeitung vorliegt.

Damit ändert Deutschland grundlegend seine Position gegenüber den Gräueltaten  der deutschen Truppen in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika. Nach einem blutigen Aufstand der Herero und Nama 1904 hatten die „Schutztruppen“ Zehntausende Afrikaner erschossen und in den Tod getrieben. Schätzungen gehen von rund 100.000 Todesopfern aus.

Bisher hatte Deutschland betont, dass die „historische Ereignisse“ erst seit Inkrafttreten der UN-Völkermord-Konvention 1951 als Genozid eingestuft werden können.

In diesem Jahr hatte allerdings der Bundestag bereits die Massaker an den Armeniern von 1915/16 im Osmanischen Reich als Völkermord verurteilt.

In ihrer neuen Stellungnahme zu den Herero-Massakern betont die Bundesregierung nun, dass ein Völkermord „in einer historisch-politisch geführten öffentlichen Debatte“ auch in einem „nicht rechtlichen“ Sinn definiert werden kann. Es bleibe allerdings dabei, dass allein aus der Verwendung des Völkermordbegriffs keine Rechtsfolgen für Deutschland entstehen.

Eventuelle Entschädigungs-Verhandlungen

Anlass für die Anfrage, die der Linken-Entwicklungspolitiker Niema Movassat gestellt hatte, sind die derzeit laufenden nicht-öffentlichen Verhandlungen zwischen deutschen und namibischen Regierungsbeauftragten. Erst vorige Woche war der deutsche Sonderbeauftragte, CDU-Politiker Ruprecht Polenz, aus Namibia zurückgekehrt. Ziel sei es, „auf Grundlage eines gemeinsamen Verständnisses der Vergangenheit zu einer weiteren Vertiefung der Zusammenarbeit“ zu gelangen.

Inwiefern über Entschädigungen verhandelt wird, hält das Schreiben offen.  Gegenstand der Verhandlungen sei aber eine „deutsch-namibische Zukunftsstiftung“ sowie Projekte der politischen Bildung und des Jugendaustauschs.

Polenz hatte in der FAZ zudem Infrastrukturmaßnahmen angesprochen. Zudem soll es eine gleichlautende Resolution beider Parlamente geben, die den Völkermord verurteilt. Weiterhin sei eine offizielle Entschuldigung der Bundesrepublik geplant, die Bundespräsident Joachim Gauck aussprechen könne.

Das Regierungsschreiben betont jedoch, dass sie nach wie vor die Forderungen nach Reparationen durch Volksgruppenvertreter der Herero und Nama ablehnt, da sie „der rechtlichen Grundlage entbehren“. „Besonders betroffene Volksgruppen“ würden zwar einbezogen, „aber ohne direkte Teilnahme an Verhandlungen“.

Erstmals rückt die Bundesregierung auch von der Deutung ab, dass die bisher von Deutschland geleistete Entwicklungshilfe eine Art Reparation gewesen sei: „Entwicklungsgelder dienen entwicklungspolitischen Zwecken und werden nicht anders deklariert.“

Die Opposition lobt die Kurskorrektur. „Es ist gut, dass die Bundesregierung sich der Meinung der wissenschaftlichen Fachwelt anschließt und besser spät als nie von Völkermord spricht“, sagte Linken-Politiker Movassat dieser Zeitung. Dass die „laufende Geheimdiplomatie unter Ausschluss der Nachfahren der Überlebenden“ geschehe, sei aber „völlig inakzeptabel“: Ohne die Nachfahren könne der Versöhnungsprozess keine dauerhafte Lösung bringen.