Neoliberalismus Neoliberalismus: Vom wissenschaftlichen Begriff zum Schimpfwort
München/dpa. - Der Begriff des Neoliberalismus ist in denvergangenen Monaten zum prominenten Schimpfwort der Politik und derStammtische geworden. Meist wird die Bezeichnung verwendet, um einBedrohungsszenario für den Sozialstaat aufzubauen: Dann schwingenentfesselter Kapitalismus, schrankenlose Globalisierung und sozialeKälte mit.
Nicht erst seit der von SPD-Chef Franz Müntefering geäußertenKritik an der «totalen Ökonomisierung» der Gesellschaft und seinemVergleich von Heuschreckenschwärmen und Finanzinvestoren ist derBegriff in aller Munde. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth griff den«eiskalten Neoliberalismus von Merkel, Stoiber und Westerwelle» an,der frühere SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine wiederum attackiertregelmäßig Rot-Grün als neoliberal.
Auch in Unionskreisen wird der Begriff eingesetzt, um sich zupositionieren. Bayerns Landtagspräsident Alois Glück (CSU) sagteetwa, der Neoliberalismus der FDP habe keine Zukunft. Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler warnte gar: «Wir müssen uns aus demSchlepptau des Neoliberalismus befreien, der Interessen des Kapitalsüber das der Menschen stellt.»
An den Universitäten ist der Begriff hingegen meist tabu:«Neoliberalismus», sagt der Hamburger Wirtschaftsprofessor MichaelFunke, «ist heutzutage ein politischer Kampfausdruck geworden, mitdem versucht wird, zu diskreditieren. Ich selbst würde den Ausdrucknie benutzen.»
Ursprünglich war Neoliberalismus nur ein wissenschaftlicherÜberbegriff für neue Ideen, die sich auf den Liberalismus des 18.Jahrhunderts beriefen. Erstmals tauchte er Ende der 30-Jahre in denUSA auf. Auch dass Deutschland seine eigene neoliberale Traditionhat, wird in der Debatte ausgespart. So wird auch derOrdoliberalismus der Freiburger Schule dem Neoliberalismuszugerechnet. Grundidee ist dabei, dass der Staat einen Ordnungsrahmenfür eine sonst frei agierende Wirtschaft setzen muss.
Näher am momentanen Gebrauch liegen die Konzepte des Urvaters desNeoliberalismus: Der österreichische Ökonom Friedrich von Hayekbeschwor bereits 1943 in «Der Weg zur Knechtschaft» dasHorrorszenario eines immer größeren, monströsen und ineffizientenStaatsapparates.
Steigende Arbeitslosigkeit und langsames Wachstum führten in denspäten 70er-Jahren zu einer Neuorientierung, vor allem in derangelsächsischen Welt. Viele Elemente des Thatcherismus inGroßbritannien und der Politik Reagans in den USA beriefen sich mitder Idee des «lean government», des schlanken Staates, stark auf eineneue neoliberale Strömung: den Monetarismus der Chicagoer Schule umMilton Friedman. Neoliberal wurde nun mit einer marktorientiertenWirtschaftspolitik assoziiert.
Mitte der 90er Jahre nahmen besonders Globalisierungskritiker wieAttac den Begriff in ihr Vokabular auf. Im Lauf der vergangenen Jahrewurde «Neoliberalismus» dann zum Schimpfwort - dabei stand er ganz amAnfang im Wortsinn nur für eine Neubelebung klassischer liberalerIdeen.