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Anschlag in Istanbul Nachtclub Reina in Istanbul: Chaotische Szenen - "Die Leute traten auf andere Menschen"

01.01.2017, 14:08
Begräbnis eines Terroropfers in Istanbul
Begräbnis eines Terroropfers in Istanbul X02255

Istanbul - Es war gut eine Stunde nach Mitternacht und Sefa Boydas war gerade erst zur Silvesterparty im „Reina“ eingetroffen, als in dem edlen Istanbuler Nachtclub die ersten Schüsse fielen. „Links waren Schüsse zu hören, also rannten wir nach rechts,“ berichtet der Profifußballer vom Istanbuler Club Beylerbeyi. Mehrere Frauen seien in Ohnmacht gefallen, auch eine seiner Begleiterinnen. „Ich habe sie auf den Rücken genommen und bin sofort gerannt. In solchen Momenten wartet man nicht.“

Ein angeblich als Weihnachtsmann verkleideter Attentäter war um 01.15 Uhr in den schicken Club eingedrungen, in dem hunderte Gäste in das Neue Jahr feierten. „Gerade als wir uns am Eingang niedergelassen hatten, gab es plötzlich Schüsse. Alles war voller Staub und Rauch“, erzählt Fußballer Boydas. Nachdem der Attentäter mit einem Gewehr das Feuer auf die Sicherheitsleute vor dem Eingang eröffnet hatte, schoss er im Club dann wahllos auf die Partygäste. Mindestens 39 Menschen wurden getötet, fast 70 verletzt.

Menschen springen in den Bosporus

In dem Club brach Panik aus: Zahlreiche Menschen sprangen in das eiskalte Wasser des Bosporus, an dessen Ufer das aus mehreren Restaurants bestehende „Reina“ liegt. Während Frauen in Cocktailkleidern und Männer mit Papphüten vom Anschlagsort flohen, rasten Polizeiautos und Krankenwagen heran. Die Polizei sei schnell eingetroffen, doch habe sie nicht gewusst, wer der Schütze ist, sagt Boydas. „Sie verdächtigten uns alle.“

Der Fußballer bezweifelt die offiziellen Angaben, wonach es 39 Tote gab. „Es waren wahrscheinlich mehr. Als ich hinausrannte, traten die Leute auf andere Menschen.“ Auch Stunden nach dem Anschlag war der Täter weiter flüchtig. „Die Polizei hat die notwendige Operation gestartet“, versichert Innenminister Süleyman Soylu. „Ich hoffe, er wird schnell gefasst, so Gott will.“ Manchen Augenzeugenberichten zufolge sprach der Attentäter arabisch. Offiziell bestätigt wurde das ebensowenig wie Berichte, wonach er ein Weihnachtsmannkostüm getragen habe. Soylu spricht nur von „Mantel und Hose“.

Viele Ausländer im coolen Club am Bosporus

Die Istanbuler Polizei hatte für den Jahreswechsel 17.000 Beamte mobilisiert und für die Innenstadt ein Fahrverbot für Lastwagen erlassen, nachdem es im vergangenen Jahr in der Stadt immer wieder schwere Anschläge der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) sowie der kurdischen Extremistengruppe Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) gegeben hatte. Dennoch konnte die Polizei den Attentäter vom „Reina“ nicht aufhalten.

„Wir waren gekommen, um einen schönen Abend zu verbringen, doch plötzlich war alles Chaos - eine Nacht des Horrors“, sagt Maximilien, ein italienischer Tourist. Wie er waren viele Ausländer zu Neujahr in den ebenso spektakulär gelegenen wie teuren Club unterhalb der großen Bosporus-Brücke im schicken Stadtteil Ortaköy gekommen. Unter den 39 Opfern waren laut Regierung mindestens 15 Ausländer.

Im kalten Morgengrauen warten dutzende Krankenwagen in einer langen Schlange vor dem Anschlagsort, um nach und nach die Verletzten und Toten fortzubringen. Ein Mann will hinein, schreit, dass er jemanden im „Reina“ kenne. Als ein Polizist einen Arm um seine Schultern legt und ihn an sich zieht, bricht der Mann in Tränen aus.

Menschen warten auf Angehörige

Wie er sind dutzende Menschen vor den Nachtclub gekommen, um nach Freunden und Angehörigen zu suchen. Eine Frau um die fünfzig geht suchend zwischen den herumstehenden Gruppen vor dem Club umher. „Meine Schwester war drinnen“, sagt sie unruhig. „Sie rief mich an und sagte, es gebe Schüsse, das war alles. Ich kann sie seitdem nicht erreichen.“ Eine andere Frau in einem roten Mantel wartet auf ihren Bruder. „Gott sei Dank hat er gesagt, dass es ihm gut geht. Ich warte nun auf ihn“, sagt sie. Nach und nach wird die Schlange der Krankenwagen kürzer, bis schließlich ein Polizist mitteilt, dass niemand mehr im „Reina“ ist. (afp)