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Nach dem Tod von Andreas Schockenhoff Nach dem Tod von Andreas Schockenhoff: Wie der Petersburger Dialog reformiert werden soll

Von Katja Tichomirowa 15.12.2014, 16:56
Inzwischen verstorben: Der CDU-Politiker Dr. Andreas Schockenhoff.
Inzwischen verstorben: Der CDU-Politiker Dr. Andreas Schockenhoff. imago/Metodi Popow Lizenz

Berlin - Ärger über den Petersburger Dialog, vor 13 Jahren vom russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder als Dialogforum der Zivilgesellschaften gegründet, gibt es schon seit langem. Öffentlich wurde er durch den langjährigen Russlandkoordinator der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff (CDU). Er starb am Wochenende. Unter dem Eindruck seines überraschenden Todes haben Schockenhoffs Mitstreiter eine öffentliche Erklärung zu der von ihnen geforderten Reform des Petersburger Dialogs abgegeben. Wir dokumentieren sie im Wortlaut:

***

Wir engagieren uns seit Jahrzehnten beruflich und ehrenamtlich für einen umfassenden Dialog zwischen Deutschland und Russland und für die Ausweitung des zivilgesellschaftlichen Austausches. Deshalb haben wir vor einigen Wochen in Briefen an die Bundeskanzlerin, den Bundesaußenminister und den Vorsitzenden des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs gewandt, in denen wir unsere Absage für die Teilnahme an der Hauptveranstaltung des Petersburger Dialoges in Sotschi Ende Oktober 2014 mitgeteilt sowie deutliche Kritik an einer Fortführung des Petersburger Dialogs in der bisherigen Form (!) geübt haben.

Im Zusammenhang mit der kurz danach beschlossenen Verschiebung des Petersburger Dialogs ist in der Öffentlichkeit verschiedentlich der Eindruck erweckt worden, dass wir Gesprächskanäle mit russischen Offiziellen „kappen“ und den deutsch-russischen Dialog "boykottieren" wollten. Das Gegenteil ist der Fall: Uns geht es nicht um eine Abschaffung des Petersburger Dialogs, sondern um dessen notwendige qualitative Verbesserung in schwieriger Zeit, quasi einen „Petersburger Dialog 2.0“. Ein echter zivilgesellschaftlicher Austausch ist gerade vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklung wichtiger denn je.

  • Die politische und rechtliche Situation unserer zivilgesellschaftlichen Partner in Russland hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch verschlechtert. Sie brauchen breit gefächerte Dialogmöglichkeiten mit internationalen Partnern ebenso wie ungehinderte Gesprächskanäle zu Wirtschaft und Politik in Russland, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen und ihre Interessen wirksam vertreten zu können.

Das Vorgehen der russischen Führung gegenüber der Ukraine hat zur tiefsten Vertrauenskrise zwischen Russland und der EU seit dem Ende der Sowjetunion geführt. Umso wichtiger sind Dialogplattformen, in denen die unterschiedlichen Sichtweisen und Interessen offen diskutiert werden können, um Verständigungsmöglichkeiten auszuloten und Differenzen präzise herauszuarbeiten.

Daher brauchen wir gerade jetzt ein "offenes Diskussionsforum für die Verständigung zwischen den Zivilgesellschaften beider Länder", wie es die Satzung des Petersburger Dialogs vorsieht. Der Petersburger Dialog in seiner gegenwärtigen Form wird diesem Satzungsziel jedoch leider nicht gerecht, da in ihm unabhängige zivilgesellschaftliche Organisationen aus beiden Ländern deutlich unterrepräsentiert sind. Das gilt erst recht für die Entscheidungsgremien des Petersburger Dialogs auf russischer wie auf deutscher Seite.

Nach unserem Verständnis handelt es sich bei „Zivilgesellschaft“ um eine Form gesellschaftlicher Selbstorganisation durch „vor dem Zugriff des (Zentral-)Staates geschützte Organisationen und Institutionen" (Ralf Dahrendorf). Den „institutionellen Kern der Zivilgesellschaft“, bilden „nicht-staatliche und nicht-ökonomische Zusammenschlüsse und Assoziationen auf freiwilliger Basis“ (Jürgen Habermas). Dabei nehmen Bürgerinnen und Bürger ihr Recht auf Kontrolle und Mitgestaltung gegenüber Staat und Wirtschaft wahr, ohne von diesen abhängig zu sein. Zivilgesellschaft organisiert sich, um in vielfältigen Formen Einfluss auf gesellschaftliche und politische Prozesse zu nehmen. Ein wichtiges Merkmal zivilgesellschaftlicher Initiativen ist ihre Unabhängigkeit.

Der Petersburger Dialog ist vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und vom Russischen Präsidenten Wladimir Putin ins Leben gerufen worden. Schon diese Gründung eines zivilgesellschaftlichen Dialogs „von oben“ zeigt, dass es sich dabei um keine klassische Nichtregierungsorganisation handelt. Das belegt auch die Tatsache, dass die Struktur des Petersburger Dialogs Gegenstand des aktuellen Koalitionsvertrages der Bundesregierung ist.

Auch die Praxis des Petersburger Dialogs genügt nicht den Kriterien, die an eine unabhängige zivilgesellschaftliche Organisation zu stellen sind. Wir registrieren sehr wohl, dass in den letzten Jahren auch kontroverse Themen behandelt wurden und auf russischer Seite auch einzelne Vertreterinnen und Vertreter unabhängiger Nichtregierungsorganisationen teilgenommen haben. Das ändert aber nichts daran, dass Themenfindung und Einladungen zu den Veranstaltungen in kleinen, geschlossenen Gremien beschlossen werden, in denen klassische zivilgesellschaftliche Akteure allenfalls am Rande vorkommen.

Diese Gremien halten die Zügel fest in der Hand. Es kam schon vor, dass Sitzungsprotokolle von Arbeitsgruppen bereits vorlagen, bevor deren Beratungen überhaupt begonnen hatten. Aktuelle, als heikel empfundene Themen werden als Störung wahrgenommen und entsprechend abgewehrt. So versuchten gerade die deutschen Verantwortlichen bei der Forumsveranstaltung in Dresden 2006 die Befassung der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft mit der Ermordung der regierungskritischen Journalistin Anna Politkowskaja unmittelbar vor der Veranstaltung zu verhindern. Sie zogen ein entsprechendes Mandat der Arbeitsgruppe in Zweifel. Es blieb es der damaligen russischen Koordinatorin vorbehalten, die Ermordung im Schlussplenum zu thematisieren.

Eine Führung des Petersburger Dialogs auf deutscher Seite, die der eigenen kritischen Zivilgesellschaft misstrauisch begegnet und sich beharrlich weigert, sie substantiell einzubeziehen, kann einen offenen zwischengesellschaftlichen Dialog mit der russischen Seite schwerlich befördern. Die einseitige Zusammensetzung und politische Ausrichtung der deutschen Gremien wird noch verstärkt durch die personelle und institutionelle Verklammerung mit dem Deutsch-Russischen Forum, bei dem das deutsche Sekretariat des Petersburger Dialogs angesiedelt ist.

Die vorwiegend mit Vertreterinnen und Vertretern von Staat und Wirtschaft besetzten Lenkungssauschüsse des Petersburger Dialogs repräsentierten die unabhängige Zivilgesellschaft bisher weder auf russischer noch auf deutscher Seite ausreichend. Dieses Missverhältnis muss jetzt mindestens auf deutscher Seite überwunden werden. Um einen echten Dialog herzustellen und dessen bloße Simulation zu vermeiden, sind daher u.a. folgende Veränderungen notwendig:

Als TeilnehmerInnen am Petersburger Dialog sollten vorwiegend Mitglieder aus unabhängigen zivilgesellschaftlichen Organisationen eingeladen werden. Dazu muss die Einladungs-Prozedur überdacht werden.

Die Mitgliederversammlung muss sich öffnen. Denkbar ist die Benennung einer Reihe von NGOs/Institutionen, die zeitlich begrenzt Menschen in die Mitgliederversammlung entsenden. Daneben sollte Platz sein für die Berücksichtigung von Individuen mit ausgewiesener Russland-Expertise und Vertreterinnen und Vertretern neu entstehender Gruppen/NGOs, die sich mit dem Thema befassen.

Der deutsche Lenkungsausschuss sollte vorwiegend mit Vertreterinnen und Vertretern unabhängiger zivilgesellschaftlicher Organisationen aus einem breiten Spektrum besetzt sein, darunter auch die klassischen NGO’s mit Russlandkompetenz.

Es sollte auch darauf hingewirkt werden, dass die Zusammensetzung des russischen Lenkungsausschusses zugunsten einer relevanten Einbeziehung unabhängiger Nichtregierungsorganisationen verändert wird.

Der Petersburger Dialog sollte losgelöst von den deutsch-russischen Regierungskonsultationen stattfinden.

Der inhaltlichen Diskussion sollte deutlich mehr Gewicht und Zeit gegeben werden; der zeremonielle und glamouröse Charakter sollte weichen.

Die Diskussionsformate sollten so gestaltet werden, dass es zu einem möglichst intensiven Austausch zwischen deutschen und russischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern kommt. Dabei darf es keine Scheu vor kontroversen Diskussionen geben.

Die deutsche Seite des Petersburger Dialogs sollte künftig unabhängig vom „Deutsch-Russischen Forum“ arbeiten.

Abschließend unterstreichen wir erneut unsere Bereitschaft, uns aktiv an Gesprächen zur Neugestaltung des Petersburger Dialogs zu beteiligen.

Peter Franck (Amnesty International)

Ralf Fücks (Heinrich Böll Stiftung)

Stefan Melle (Deutsch-Russischer Austausch)

Tobias Münchmeyer (Greenpeace)

Stefanie Schiffer (Europäischer Austausch)